Zur jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungs- und Bundesverfassungsgerichts
(Prof. Dr. Bernd J. Hartmann, LL.M. (Virginia)*) In seinem vielbeachteten Beschluss vom 7. März 2017 – 1 BvR 1314/12 –, NVwZ 2017, 1.111 ff., hielt das Bundesverfassungsgericht das Vertrauen der Spielhallenbetreiber für weniger schutzwürdig als entsprechendes Vertrauen anderer Gewerbetreibender. Wörtlich heißt es: „Die Besonderheiten des Glücksspiel- und dabei insbesondere auch des Spielhallensektors haben überdies zur Folge, dass der Grundsatz des Vertrauensschutzes einen Schutz getätigter Investitionen nicht in gleichem Maße verlangt wie in anderen Wirtschaftsbereichen. Bei Spielhallen handelt es sich um Gewerbebetriebe, die von vornherein einen besonderen sozialen Bezug aufweisen, da auch bei Beachtung aller gesetzlichen Vorschriften die Möglichkeit besteht, dass spielsüchtige und spielsuchtgefährdete Spieler Spielhallen aufsuchen. […]“ (BVerfG, NVwZ 2017, 1.111 (Rn. 190))
Die Herabsetzung des Schutzniveaus begründete das Gericht außerdem mit dem Befund, dass Spielhallenbetreiber mehrere Spielhallen so nebeneinander errichtet hätten, dass die vorgesehene Obergrenze der Gerätezahl pro Spielhalle keine Wirkung habe entfalten können: „Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens in den unbegrenzten weiteren Betrieb von Mehrfachspielhallen war auch ohne entsprechende konkrete Reformvorhaben zumindest stark eingeschränkt, denn deren Betrieb unterlief die vom Bundesgesetzgeber mit der Bestimmung des § 3 Abs. 2 SpielV beabsichtigte Begrenzung der maximalen Anzahl der Geldspielgeräte je Standort […] und stellte damit eine (wenn auch legale) Umgehung der schon zuvor bestehenden Vorschriften zur Gerätehöchstzahl in Spielhallen dar […]“ (BVerfG, NVwZ 2017, 1.111 (Rn. 191).
Diese Argumentation lässt sich als Ausdruck einer Sonderdogmatik für Spielhallen begreifen. Unter Sonderdogmatik verstehe ich die Abweichung von der allgemeinen Dogmatik in einem bestimmten Lebensbereich, den das Gesetz seinem Wortlaut nach unterschiedslos erfasst. Diese Abweichung bedarf der Rechtfertigung. Weil einzige Legitimationsquelle aller Dogmatik, sowohl allgemeiner als auch spezieller, das Gesetz ist, muss die Rechtfertigung gerade durch das Gesetz und dessen Auslegung gelingen. Das setzt voraus, dass es Sachgründe gibt, welche die Abweichung für den Lebensbereich, in dem die Sonderdogmatik gelten soll, tragen. Das ist etwa der Fall, wenn die Rechtssätze der allgemeinen Rechtsdogmatik auf Gründen beruhen, die im Sonderfall nicht gelten.
Professor Dr. Bernd J. Hartmann, LL.M. (Virginia), ist Geschäftsführender Direktor des Instituts für Kommunalrecht und Verwaltungswissenschaften. Er lehrt an der Universität Osnabrück Öffentliches Recht, Wirtschaftsrecht und Verwaltungswissenschaften und ist Mitglied der wissenschaftlichen Leitung der Forschungsstelle Glücksspiel der Universität Hohenheim.
*Der Beitrag ist die Zusammenfassung eines Vortrags, den der Verfasser am 20.10.2017 auf dem Zweiten Bochumer Gespräch zum Glücksspielrecht gehalten hat und dessen ausführliche Fassung in dem vom Veranstalter, Professor Dr. Julian Krüper, herausgegebenen Tagungsband im nächsten Jahr bei Mohr Siebeck erscheinen wird. Der Vortrag gründet auf einem Gutachten, das der Verfasser der VDAI Verlags- und Messegesellschaft mbH erstattet hat. Dank für vorbereitende Recherchen gebührt Dipl.-Jur. Alverich Ommen, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Osnabrück.
Dieser Beitrag erschien in voller Länge in der Fachzeitschrift „Beiträge zum Glücksspielwesen“ Ausgabe 4/2017. Diese kann hier im Jahresabo oder einzeln bestellt werden.