Von Thomas Beyer
Dem Scheitern des zweiten Glücksspieländerungsstaatsvertrages wohnen zwei direkte, sich bedingende Konsequenzen inne. Zum einen bedeutet es, dass der erste, im Juni 2021 auslaufende Glücksspieländerungsstaatsvertrag aus dem Jahre 2012 vorerst weiter seine Gültigkeit bewahrt. Zum anderen zwingt es die Regierungen der sechzehn deutschen Bundesländer rasch ihre in Teilen tiefverwurzelten Dissense zu überwinden und sich zeitnah auf einen neuen, belastbaren Glücksspielregulierungsrahmen zu verständigen. Vor dem Hintergrund dieser doch komplexen Gemengelage bietet es sich an, einen Blick auf den skandinavischen Raum zu werfen, der interessante Wege bei der Regulierung des Glücksspiels gegangen ist und substanzielle Denkanstöße für den Neustart der Regulierung in Deutschland liefern kann.
Politisch, ökonomisch und gesellschaftlich weisen die skandinavischen Staaten große Ähnlichkeiten auf, die sich insbesondere in den Bereichen der Arbeitsmarkt-, Bildungs- und Sozialpolitik manifestieren. Nicht umsonst sprechen Sozialwissenschaftler mit Blick auf das redistributive Agieren der Länder generalisierend vom „nordischen Wohlfahrtsstaatsmodell“. Ähnlichkeiten weisen die Staaten auch im Bereich des Glücksspiels auf. Als Bürger wohlhabender, hochtechnologisierter Staaten verfügen die Skandinavier in der Regel über sichere Arbeitsplätze, hohe Haushaltseinkommen sowie exzellente Anbindungen an das Internet – Parameter, die ihnen die Teilnahme an Glücksspielen vereinfachen. So zeigen Zahlen des Hamburger Statistik-Portals Statista, dass die skandinavischen Staaten im europäischen Vergleich überdurchschnittlich hohe Pro-Kopf-Glücksspielausgaben aufweisen.
Staatliches Glücksspielmonopol als Kontrollinstrument
Doch während der skandinavische Raum somit einheitlich hohe Glücksspielausgaben zu verzeichnen vermag, bestehen zwischen den einzelnen Ländern in der Regulierung des Glücksspiels substanzielle Unterschiede. In der Ausgestaltung des rechtlichen Glücksspielrahmens sind die skandinavischen Staaten unterschiedlichen Wegen gefolgt und haben so äußerst divergente Gesetzeslagen geschaffen, die in ihrer Gesamtheit das breite Spektrum zwischen strenger Restriktion (Norwegen) und kontrollierter Öffnung (Dänemark) abdecken.
Im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte hat der Gesetzgeber in Norwegen ein engmaschiges Regulierungssystem geschaffen, das dem Staat eine klare Monopolstellung im Glücksspielsektor einräumt. Dieses Monopol basiert auf drei Gesetzeswerken, die das Glücksspielmonopol des Staates vor allem als Instrument zur Kontrolle der Spielpräferenzen und -gewohnheiten der norwegischen Bevölkerungen definieren und somit ernstlich in bürgerliche Selbstbestimmungsrechte eingreifen. So regelt der Totalisator Act aus dem Jahre 1927 alle Wettaktivitäten im Pferdesportbereich, das Glücksspielgesetz von 1992 unter anderem die Nationallotterie, Sportwetten sowie Spielautomaten und das 1995 verabschiedete Lotteriegesetz kleinere Glücksspielformate.
Als Konsequenz des staatlichen Wettmonopols wird der norwegische On- und Offline-Glücksspielmarkt von zwei öffentlichen Anbietern beherrscht, Norsk Tipping AS und Norsk Rikstoto AS. Beide Firmen verfügen in ihren jeweilen Marktsegmenten über alleinige Monopolstellungen: Während das Produktportfolio von Norsk Tipping unter anderem Lotterien, Spielautomaten sowie Sportwetten und Pokerspiele umfasst, fokussiert sich Norsk Rikstoto auf Pferdewetten. Allerdings bemängeln norwegische Glücksspieler regelmäßig sowohl den Umfang als auch die Qualität des Angebots der staatlichen Wettanbieter. Nicht nur böten Norsk Tipping und Norsk Rikstoto eine begrenzte Produktpalette, sondern blieben die potenziellen Gewinnmöglichkeiten für Spieler aufgrund der hohen Personal- und Verwaltungsausgaben der beiden Firmen ebenfalls stark hinter den Erwartungen zurück.
Norwegischer Autoritätsverlust
Vor diesem Hintergrund ist es wenig überraschend, dass sich das Angebot ausländischer, nicht-lizenzierter und somit illegaler Wettanbieter wachsender Popularität in Norwegen erfreut. Anstatt jedoch die konstant steigende Zahl an norwegischen Glücksspielern, die entgegen der norwegischen Gesetzgebung auf ausländischen Glücksspielseiten aktiv sind, als Anlass zu nehmen, den norwegischen Glücksspielmarkt grundlegend zu reformieren und an die Realitäten des Internetzeitalters anzupassen, versucht die Regierung in Oslo mit aller Macht, das bestehende Staatsmonopol aufrechtzuerhalten. So erließ sie im Jahre 2010 den Payment Systems Act, mit dem sie Banken und Zahlungsabwicklern untersagt, das Geld norwegischer Bürger auf das Konto ausländischer Glücksspielanbieter zu transferieren. Allerdings vermochte das Gesetz die weitere Frequentierung internationaler Wettangebote nicht zu unterbinden, wie die norwegische Glücksspielregulierungsbehörde Lotteritilsynet in den vergangenen Jahren wiederholt in Evaluierungen konzedieren musste. Anstatt auf Glücksspiel zu verzichten oder nur noch das Angebot der norwegischen Staatsmonopolisten wahrzunehmen, sind viele norwegische Spieler auf alternative Zahlungssysteme ausgewichen und setzen so die Nutzung ausländischer Seiten problemlos fort.
Die äußerst restriktive Handhabung des Glücksspiels in Norwegen hat das Land in eine Sackgasse geführt. Die aktuelle Gesetzeslage bietet norwegischen Glücksspielern nur unzureichenden Raum zum Glücksspiel und drückt sie zugleich in rechtlich äußerst dunkle Graubereiche. Gleichzeitig hat sie den Staat in eine Lage manövriert, in der er nicht länger in der Lage ist, das Glücksspiel aktiv zu regulieren und sich in der Folge mit einem nicht unerheblichen Autoritätsverlust konfrontiert sieht. Doch scheint die Regierung in Oslo derzeit noch nicht bereit zu sein, das Scheitern der norwegischen Glücksspielregulierung einzugestehen. Damit folgt sie weiter einem umstrittenen, restriktiven Kurs, der sich auch im Nachbarland Finnland als wenig zielführend erweist.
Finnische Rechtsunsicherheit
Historisch wurde der staatsmonopolistische finnische Glücksspielmarkt von drei Unternehmen kontrolliert: Veikkaus Oy bot Lotterien und Sportwetten an, RAY offerierte Automatenspiele und Fintoto fokussierte sein Angebot auf Pferdewetten. Im Jahre 2017 fusionierten die drei Firmen – seitdem hält das neugeschaffene staatliche Glücksspielunternehmen Veikkaus ein faktisches Monopol auf legale Glücksspiele im Land. Alleinig in der Provinz Aland, die eine Vielzahl kleinerer Inseln administrativ gliedert, wird das Glücksspiel von einem weiteren Anbieter, der Ålands Penningautomatförening, organisiert. Finnische Glücksspieler können somit offiziell nur das Angebot staatlicher Anbieter wahrnehmen – doch auch in Finnland weicht eine signifikante Zahl an Glücksspielern auf das deutlich umfassendere und lukrativere Angebot nicht-lizenzierter, illegaler ausländischer Wettseiten aus. Versuche der Regierung in Helsinki, diese Nutzung durch Maßnahmen wie Werbeverbote zu unterbieten, haben sich in der Vergangenheit als unwirksam erwiesen; ausländische Wettseiten, über die die finnische Judikative keinerlei Kontrolle ausüben kann, verzeichnen weiter hohe Popularität.
Das aktuelle finnische Glücksspielrecht weist in der Folge ähnliche Schwächen in der Praxis auf wie das norwegische. Es bietet einer Vielzahl an Glücksspielern keine Rechtssicherheit, steht dem Angebot ausländischer Glücksspielanbieter weitestgehend machtlos gegenüber und trägt so zur graduellen Unterminierung der Autorität des finnischen Staates bei. Die restriktive Handhabung des Glücksspiels hat somit sowohl in Norwegen als auch in Finnland für Staat und Glücksspieler substanzielle Probleme geschaffen; Probleme, mit denen sich das in Glücksspielfragen weitaus progressivere Dänemark nicht konfrontiert sieht.
Dänisches Lizenzsystem
Südlich des Skagerraks verfolgt Dänemark ein deutlich offeneres Regulierungsmodel, das seinen Bürgern weitgehende Freiheiten im Glücksspiel einräumt und dem Staat erlaubt, den Wettmarkt effektiv und nachhaltig zu steuern. Dabei folgte Dänemark lange Zeit einem ähnlich restriktiven Kurs wie Norwegen. Der 1948 gegründete staatliche Glücksspielanbieter Danske Spil hielt jahrzehntelang ein Monopol auf alle Glücksspielformen, das die Regierung in Kopenhagen entschlossen verteidigte – auch gegenüber der Europäischen Union, die 2006 aufgrund der restriktiv-protektionistischen dänischen Glücksspielregelungen ein Vertragsverletzungsverfahren gegen das Land einleitete. Jedoch musste die Regierung in Kopenhagen zunehmend erkennen, dass staatsmonopolistische Glücksspielstrukturen im Zeitalter der Digitalisierung keine probaten Regulierungsmechanismen mehr darstellten und entschied sich vor dem Hintergrund eines rasch anwachsenden, nicht-regulierten Onlinemarkts und zunehmenden Drucks aus Brüssel für die kontrollierte Öffnung des dänischen Glücksspielmarkts.
Das dänische Glücksspielgesetz, das am 1. Januar 2012 in Kraft trat, ordnete das Glücksspiel in Dänemark grundlegend neu. Zwar räumt das Gesetz Danske Spil weiterhin eine Monopolstellung im umsatzstarken Lotto-Marktsegment ein, doch öffnet es insbesondere den Online-Glücksspielmarkt weitgehend. Auf Basis der neuen Gesetzgebung können sich Anbieter nun auf zwei jeweils fünf Jahre gültige Lizenztypen bewerben: Während A-Lizenzen die Anbieter zur Durchführung von Sportwetten berechtigen, erlauben B-Lizenzen die Organisation von Poker- und Casino-Spielen. Beide Lizenztypen werden unter strengen verbraucher-, daten- und jugendschutzrechtlichen Auflagen vergeben, die den derzeitigen schleswig-holsteinischen Vorgaben nicht unähnlich und in Teilen gar umfassender sind. So existieren unter anderem weitreichende Auskunftspflichten für Wettanbieter, verpflichtende Identitätsprüfungen für Glücksspieler und Instrumente zur Blockierung illegaler Glücksspielseiten. Darüber hinaus wurde eine anbieterübergreifende Selbstausschlussplattform – das sogenannte „Register of self-excluded players“ (ROFUS) – geschaffen, die allen Glücksspielern die Möglichkeit bietet, sich temporär oder permanent für das Glücksspiel zu sperren. Nach ausgiebiger Prüfung der Bewerber lizenzierte die staatliche Glücksspielbehörde auf Basis dieses Ordnungsrahmens im Jahre 2012 25 nationale und internationale Anbieter und löste sich somit endgültig vom staatsmonopolistischen Regulierungsmodell.
Erfolgreiche Öffnung des Glücksspielmarkts
Die kontrollierte Öffnung des dänischen Glücksspielmarkts wird von Beobachtern fast einstimmig als großer Erfolg gepriesen. Als direkte Folge des Gambling Acts ist es der Regierung gelungen, die Kontrolle über den dänischen Glücksspielmarkt zurückzuerlangen und klare Regulierungsstandards durchzusetzen. Mittlerweile laufen rund 90 Prozent aller Glücksspiele in Dänemark über staatlich lizenzierte Anbieter ab; nicht-regulierte, für den Verbraucher oftmals abträgliche Angebote spielen somit auf dem dänischen Markt kaum mehr eine Rolle. Zugleich musste auch der vormalige Monopolist Danske Spil trotz der Schaffung polypolistischer Angebotsstrukturen auf dem dänischen Markt keine Verschlechterung seiner wirtschaftlichen Situation verzeichnen, sondern konnte vielmehr seinen Umsatz weiter steigern. Und nicht zuletzt auch der dänische Fiskus vermochte von der Reform zu profitieren: Seit der Öffnung des Marktes im Jahre 2012 sind die staatlichen Einnahmen aus der Glücksspielsteuer signifikant gestiegen. Die dänische Glücksspielreform hat somit einen klaren und belastbaren regulativen Rahmen geschaffen, der den mannigfaltigen Interessen aller Marktteilnehmer zuträglich ist und eine befruchtende Koexistenz des ehemaligen Staatsmonopolisten und privaten Anbietern ermöglicht.
Vor dem Hintergrund dieses Erfolges ist es wenig überraschend, dass Dänemark seinen Glücksspielmarkt weiter öffnet. So entschied das Parlament in Kopenhagen im Juni 2017, ab dem 1. Januar 2018 auch den Wettmarkt für Pferde-, Hunde- und Taubensport für private Lizenzträger zu öffnen. Dänemark beschreitet somit weiter einen Weg, der auch in anderen Teilen Skandinaviens immer mehr Anhänger findet – vor allem östlich des Öresunds, wo die Ausarbeitung des neuen schwedischen Glücksspielgesetzes kurz vor der Vollendung steht.
Schwedischer Kontrollverlust
Ähnlich wie ihr Pendant in Kopenhagen, lehnte die schwedische Regierung lange eine Öffnung des Glücksspielmarkts entschieden ab, insistierte auf der Beibehaltung der absoluten Monopolstellung des staatlichen Glücksspielanbieters Svenska Spel und riskierte so bewusst eine Klage der Europäischen Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Doch setzte sich auch in Stockholm zunehmend die Überzeugung durch, dass das staatsmonopolistische Regulierungssystem des Landes ausschlaggebend ist für den schleichenden Kontrollverlust des Staates über den schwedischen Glücksspielmarkt. Politiker, wie der für Glücksspiel zuständige schwedische Minister für die öffentliche Verwaltung Ardalan Shekarab, weisen regelmäßig darauf hin, dass mehr als die Hälfte aller Sportwetten in Schweden von illegalen, nicht-lizenzierten ausländischen Wettanbietern angenommen werden.
Wie Shekarabi zuletzt im April 2018 unterstrich, zielt die schwedische Regierung mit ihrem Gesetzesvorhaben deshalb entschieden darauf ab, „die Kontrolle über den schwedischen Glücksspielmarkt zurückzugewinnen“ und klare, verbindliche Glücksspielstandards zu etablieren. Der neue Glücksspielgesetzesentwurf sieht eine Beibehaltung des staatlichen Monopols auf Lotterien vor, reguliert aber Märkte wie Online-Casinos, Sportwetten und Online-Bingo weitgehend. Über ein Lizenzierungsverfahren, das auf strengen Verbraucher-, Daten und Jugendschutzvorgaben basieren soll, wird so eine Kanalisierungsquote von 90 Prozent aller Glücksspiele angestrebt. Mit Ratifizierung des Gesetzesentwurfs durch das schwedische Parlament ist sein Inkrafttreten und damit die Auflösung der bestehenden Monopolstruktur für den 1. Januar 2019 geplant. Auch Schweden löst sich somit von einem Regulierungsmodell, das in Zeiten der Digitalisierung und des grenzenlosen Datenverkehrs nicht länger gangbar ist und passt seine Gesetzgebung an einen grundveränderten Markt an.
Der Blick nach Skandinavien ist somit für die deutsche Debatte und den Neustart der Regulierung von großer Relevanz, leistet er doch wichtige Denkanstöße, die nicht unbeachtet gelassen werden sollten. Die Beispiele Norwegen, Finnland, Dänemark und Schweden zeigen die Signifikanz moderner Regulierungsmodelle auf, die den veränderten gesellschaftlichen und technologischen Realitäten des 21. Jahrhunderts Rechnung tragen. Um das Glücksspiel effektiv und nachhaltig in den regulierten Markt zu kanalisieren, darf der Gesetzgeber nicht weiter an anachronistischen staatsmonopolistischen Regulierungsmodellen festhalten, sondern muss stattdessen flexible Ordnungsstrukturen schaffen, die den Interessen von Anbietern und Verbrauchern gleichermaßen zuträglich sind.