Von Prof. Dr. Justus Haucap
Der vorliegende Beitrag basiert auf Haucap, J., M. Nolte und H. Stöver (Hrsg.) (2017), Faktenbasierte Evaluierung des Glücksspielstaatsvertrags, Kölner Studien zum Sportrecht Band 8, Köln, gefördert durch den Deutschen Sportwettenverband (DSWV) und den Deutschen Online- und Casinoverband und fasst die wesentlichen Inhalte dieser Studie zusammen.
Die Glücksspielregulierung in Deutschland verfolgt nach §1 des Glücksspielstaatsvertrags (GlüStV) fünf zentrale Ziele: (1) Spielsuchtbekämpfung, (2) eine Kanalisierung der Nachfrage in geordnete Bahnen, (3) Jugend- und Spielerschutz, (4) die Betrugs-und Kriminalitätsprävention sowie (5) die Wahrung der Integrität des Sports. Diese Ziele lassen sich nicht nur dem Glücksspielstaatsvertrag entnehmen, sie lassen sich auch vor dem Hintergrund der ökonomischen Theorie des Marktversagens gut begründen. Ökonomisch betrachtet sind Märkte nämlich prinzipiell nur dann regulierungsbedürftig, wenn ansonsten ein Marktversagen droht. Dies ist unter anderem regelmäßig der Fall, wenn gravierende Informationsasymmetrien zwischen Anbietern und Nachfragern bestehen, so dass eine Übervorteilung einer Marktseite (typischerweise der Nachfrager) droht und der Markt ggf. sogar vollständig zusammenbricht. Die Wahrung der Integrität des Sports, Betrugs-und Kriminalitätsprävention als auch Jugend- und Spielerschutz lassen sich durch diese Informationsasymmetrien ökonomisch begründen. Wesentlich ist hier sicherzustellen, dass Spiele nicht manipuliert werden, Auszahlungen korrekt erfolgen, Gewinnchancen korrekt angegeben werden usw.
Ein weiteres Marktversagen kann drohen, wenn zumindest ein Teil der Marktteilnehmer nicht vollständig rational agiert. Davon ist etwa bei spielsüchtigen Personen, aber teils auch bei Jugendlichen, auszugehen. Die Ziele der Spielsuchtbekämpfung, aber auch des Jugendschutzes als eine besondere Form der Suchtprävention, lassen sich durch diese eingeschränkte Rationalität ökonomisch gut herleiten.
Das Vorliegen von Marktversagen allein rechtfertigt aus ökonomischer Sicht jedoch noch nicht automatisch eine staatliche Regulierung und schon gar nicht jedwede Regulierung. Vielmehr müssen die Risiken eines Regulierungsversagens, welche darin bestehen, dass die regulatorischen Ziele nicht erreicht werden oder die oben identifizierten Probleme ggf. sogar noch vergrößert werden, gegen die Gefahren des Marktversagens abgewogen werden. Zudem müssen die einzelnen Regulierungsmaßnahmen auch zielführend, notwendig und angemessen sein, um das gesteckte Ziel zu erreichen.
In diesem Kontext ist die Selbstbindung der Bundesländer nach § 1 S. 2 GlüStV von zentraler Bedeutung, wonach „differenzierte Maßnahmen für die einzelnen Glücksspielformen“ vorzusehen sind, „um deren spezifischen Sucht-, Betrugs-, Manipulations- und Kriminalitätsgefährdungspotentialen Rechnung zu tragen“.[1] Eingriffe in die europarechtlich garantierte Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit sind durch den deutschen Gesetzgeber nur dann gerechtfertigt, wenn sie im Hinblick auf das mit der staatsvertraglichen Regulierung vorrangig verfolgte Ziel der Suchtbekämpfung die verschiedenen Formen des Glücksspiels gemäß ihrer divergierenden Suchtgefährdungspotenziale in rechtlich wie auch tatsächlich in kohärenter Weise regeln. Im Sinne einer kohärenten Glücksspielregulierung passe es nach
Ansicht des Europäischen Gerichtshofs beispielsweise nicht zusammen, wenn man einerseits das Veranstaltungsmonopol bei großen Lotterien mit Suchtprävention begründe und andererseits das mutmaßlich gefährlichere Automaten- und Casinospiel ausdehne. Der Forderung nach einer kohärenten Glücksspielpolitik[2] entsprechend verlangt § 1 S. 2 GlüStV, dass die Länder differenzierte Maßnahmen nach dem Maß der verschiedenen Gefährdungspotenziale ergreifen. Ob und inwieweit diese Maßnahmen zur Zielerreichung faktisch beigetragen haben bzw. beitragen können, ist jedoch fraglich.
Aus juristischer Perspektive befindet sich die Regulierung der Glücks- und Gewinnspielmärkte in Deutschland ohnehin nach wie vor in einem rechtlichen Schwebezustand, da die praktische Implementierung des GlüStV bis dato nicht stattgefunden hat.[3] Faktisch kann der deutsche Markt für Glücks- und Gewinnspiele heute in einen regulierten und einen nicht-regulierten Markt unterteilt werden, wobei unter den regulierten Markt Glücksspielangebote fallen, welche nach deutschem Recht regulär angeboten werden dürfen. Diese beschränken sich neben Lotto und diversen staatlichen Lotterien – bedingt durch den anhaltenden Schwebezustand der Glücksspielregulierung – bei Sportwetten lediglich auf die Toto- und Oddset-Wetten des Deutschen Lotto- und Totoblocks (DLTB). Andere Sportwettanbieter wie bspw. Tipico, Bwin etc. bewegen sich allerdings in einer rechtlichen Grauzone: So verfügen sie zwar über Lizenzen für Poker-, Casino- und Sportwettenangebote aus anderen EU-Mitgliedsländern, jedoch nicht über eine deutsche Lizenz. Auch Online-Casino und Online-Poker sind momentan nach deutschem Recht nicht legal.
Nichtsdestotrotz finden sich gerade in größeren Städten zahlreiche Wettbüros von Anbietern, wie Tipico, Bwin, bet3000. Auch Online-Glückspiele sind vor allem in Form von Sportwetten sowie Online-Poker und Online-Casino omnipräsent und werden nicht nur von bekannten Persönlichkeiten, wie dem ehemaligen Nationaltorhüter Oliver Kahn, beworben, sondern erobern auch auf dem Sponsorenmarkt die Bundesliga. So ist bspw. Tipico Partner zahlreicher namhafter Fußballvereine, wie dem FC Bayern München, RB Leipzig und dem Hamburger SV, Bwin sponsert Borussia Dortmund und betway neben Werder Bremen u. a. auch den FC St. Pauli. Sämtliche Vereine der ersten und zweiten Fußballbundesliga haben heute Sponsorenverträge mit einem Sportwettanbieter. Der Grund für diese zunächst verwirrende Situation liegt darin, dass der bisherige Glückspielstaatsvertrag eben europarechtswidrig ist, die Bundesländer sich jedoch bisher auch nicht auf einen neuen Staatsvertrag haben einigen können, sodass gewissermaßen ein rechtloser Zustand besteht.
Das Gesamteinsatzvolumen des deutschen Sportwettenmarktes lag im Jahr 2015 bei etwa 6,85 Milliarden Euro.[4] Auf den lizensierten Markt – im Wesentlichen der staatliche Anbieter oddset – entfielen etwa 316 Millionen Euro, was einer Kanalisierungsquote von 4,6 Prozent im Bereich der Sportwetten entspricht. Das gesamte Marktvolumen lässt sich recht exakt bestimmen, weil
zahlreiche Anbieter von Sportwetten die deutsche Sportwettensteuer in Höhe von 5% auf den Spieleinsatz entrichten, obwohl sie in Deutschland gar nicht lizensiert sind – im Grunde eine paradoxe Situation.
Der Deutsche Sportwettenverband (DSWV) hat im Jahr 2015 mindestens 500 Internetportale zu Sportwetten identifiziert, die aus Deutschland zu erreichen sind und bei denen sich deutsche Spielteilnehmer registrieren können. Auch existiert noch eine ganze Reihe von Anbietern – vorwiegend aus dem asiatischen Raum oder aus der Karibik – die über keine Lizenz eines EU-Mitgliedstaates verfügen und somit illegal anbieten. Gerade der nicht-regulierte Markt unterliegt – im Gegensatz zum regulierten Glücksspielangebot – einem steten Wachstum: für Online-Casino betrug dies im Jahr 2015 im Vergleich zum Vorjahr fast 60 Prozent.[5] Die Verbraucher entscheiden sich demnach zunehmend gegen das regulierte Glücksspielangebot und greifen stattdessen auf Anbieter des nicht-regulierten Markts zurück.
Angesichts des im GlüStV festgelegten Komplettverbots sowohl von Online-Poker als auch von Online-Casino und einer damit einhergehenden Kanalisierungsquote von null in diesem Segment, reduziert sich die gesamte Kanalisierungsquote von Sportwetten, Online-Poker und Online-Casino zusammen betrachtet nochmals deutlich auf lediglich etwa 1,8 Prozent.[6] Diese Entwicklung erscheint gerade vor dem Hintergrund der starken Zunahme der Nachfrage nach Online-Casino äußerst bedenklich, da eine solch verschwindend geringe Kanalisierungsquote auch die Kontroll- und Eingriffsmöglichkeiten seitens des Regulierers massiv reduziert. Wird das Ziel der Kanalisierung derart konsequent verfehlt, so liegt es nahe, dass auch Verbraucher- und Jugendschutz, Suchtprävention sowie Betrugs- und Kriminalitätsbekämpfung nicht effektiv verfolgt werden können.
Glücksspielregulierung kann jedoch auch erfolgreich und zu hohen Kanalisierungsraten führen, wie die Beispiele von Dänemark[7] und Großbritannien[8] zeigen. Hier finden die Glücksspielaktivitäten fast ausschließlich im lizensierten, regulierten Markt statt. Unsere Analyse der Glücksspielmärkte ausgewählter EU-Mitgliedstaaten kommt zu dem Ergebnis, dass besonders die Begrenzung der Anzahl der Lizenzen, das Verbot von Online-Casino und Online-Poker, die Einschränkung des Wettprogramms sowie die momentane Ausgestaltung der Glückspielsteuern dem Kanalisierungsziel des Glücksspielstaatsvertrags entgegenwirken. In Dänemark, Frankreich und Spanien hat sich gezeigt, dass im Zuge der Liberalisierung bzw. der Lizenzerteilung an Anbieter von Online-Casino und Online-Poker eine Verlagerung der Glücksspielaktivitäten vom nicht-lizensierten in den lizensierten Markt stattgefunden und sich die Kanalisierungsrate dementsprechend erhöht hat.
Der von uns in der o.g. Studie entwickelte DICE Kanalisierungsindex[9] gewichtet die einzelnen Regulierungsmaßnahmen hinsichtlich ihrer kanalisierenden Wirkung im Hinblick auf die Glücksspielaktivitäten. Je höher der Indexwert, desto zielführender ist das Maßnahmenbündel im Hinblick auf eine hohe Kanalisierungsrate. Konkret werden folgende Maßnahmen mit den in Klammern angegebenen Gewichten berücksichtigt: Begrenzung der Lizenzzahl (5), Beschränkung Online-Casino (5), Beschränkung Online-Poker (5), Werbeverbote (3), Offshore-Blocking (2), Steuerhöhe (4), Steuerbemessungsgrundlage (5), einfaches Authentifizierungsverfahren (4) sowie Wettprogrammbeschränkung (4)
Die folgende Abbildung zeigt einen eindeutig positiven Zusammenhang zwischen Indexwert und Kanalisierungsrate: Die Länder mit einem niedrigen Indexwert weisen auch die niedrigsten Kanalisierungsquoten auf.
Abbildung 1 Zusammenhang von DICE-Kanalisierungsindex und Kanalisierungsrate
Quelle: Haucap et al., 2017, aaO.,
S. 161.
Verglichen mit den Marktbedingungen und -ergebnissen der dargestellten Vergleichsländer weist Deutschland noch die größte Ähnlichkeit mit Polen auf, obwohl selbst Polen ein deutlich liberaleres Regime für den Glücksspielmarkt hat als Deutschland. Jedoch besitzen beide Länder die niedrigsten Kanalisierungsraten in unserer Studie. Dies ist im Wesentlichen auf die schlechten Rahmenbedingungen im Glücksspielmarkt zurückzuführen: Regelungen wie Verbote sowohl für Online-Poker als auch für Online-Casino, eine Spieleinsatzsteuer (anstelle einer Bruttoertragssteuer), das Fehlen einer unabhängigen Regulierungsbehörde für Glücksspielbelange sowie weitreichende Werbebeschränkungen schaffen Marktbedingungen, die weder auf Anbieter- noch auf Nachfragerseite Anreize generieren, im lizensierten Markt aktiv zu werden. Die vorgesehenen Regularien verhindern vielmehr ein attraktives Angebot, dass für Kunden eine ernsthafte Alternative zu Anbietern des Grau- bzw. Schwarzmarkts darstellt. Lizenzierte Anbieter sind unter den im Glücksspielstaatsvertrag formulierten Auflagen schlichtweg nicht wettbewerbsfähig, sodass das im GlüStV genannte Kanalisierungsziel fast vollständig verfehlt wird.
Ein internationaler Vergleich zeigt Möglichkeiten auf, wie ein dem Kanalisierungsziel dienender Ansatz gerade im Sinne des Jugend-, Spieler- und Verbraucherschutzes aussehen kann. So sollten Konzessionen rein auf qualitativen Kriterien fußen statt willkürlichen (mitunter unionsrechtswidrigen) quantitativen Beschränkungen zu folgen. Während ein innovatives, innovationsoffenes und breites Produktspektrum abgestimmt auf die Kundenbedürfnisse unabdingbar erscheint, kann über vielfältige und zielgerichtete Maßnahmen (bspw. adäquate Identifizierungs- und Authentifizierungsmethoden, eine spielform- und anbieterübergreifende Sperrdatenbank, verpflichtende durch den Spieler selbst gewählte Limits etc.) eine Kontrolle der Anbieter und des Marktes und so ein Schutz der Spieler erreicht werden. Gerade die fortschreitende Digitalisierung erzeugt stets neuartige und innovative Produkte, Produktformen sowie Geschäftsmodelle, die sich an der zunehmend digitalen Lebenswirklichkeit der Menschen orientieren. Alle europäischen Jurisdiktionen verfolgen mit der Regulierung nahezu identische Ziele wie Deutschland, und in keinem Mitgliedsstaat ist eine „laissez-faire“-Haltung zum Glücksspiel feststellbar. Vielmehr werden überall zielgerichtete Maßnahmen eingesetzt, um ein Schutzniveau zu garantieren und gleichzeitig eine möglichst umfassende Lenkung des Spieltriebs in geordnete und überwachte Bahnen zu gewährleisten. Wie sich im internationalen Vergleich zeigt, ist hiermit kein grundsätzlicher Widerspruch oder ein „entweder-oder“ verbunden ist.
Ganz allgemein sollte der empirische Maßstab zur Beurteilung der Erreichung gesetzgeberischer Ziele einer Glücksspielregulierung das tatsächliche Spielverhalten sein. Während grundsätzlich ein Rückgang der Nutzung von Glücksspielen in Deutschland zu beobachten ist, gilt dies für den Verlauf der Spielsuchtprävalenz über die Zeit hinweg nicht.[10] Es muss vielmehr davon ausgegangen werden, dass die Rate glücksspielbezogener Probleme nicht gesunken ist. Somit steht zu befürchten, dass regulatorische Eingriffe zwischen 2007 und heute bestenfalls wirkungslos waren – schlimmstenfalls sogar kontraproduktiv gewirkt und glücksspielbezogene Risiken für deutsche Bürger erhöht haben.
Dabei sieht die deutsche Glücksspielregulierung eine Vielzahl verhältnispräventiver Maßnahmen (Begrenzung der Verfügbarkeit, Verbot von Online-Spielformen) vor. Dies basiert offenbar auf der Annahme, dass ein linearer Zusammenhang zwischen der Verfügbarkeit eines Suchtobjektes und dem Ausmaß der Suchtprävalenz in einer Gesellschaft besteht. Diese Annahme besitzt in der theoretischen Situation die Plausibilität, dass, wenn ein Suchtobjekt nicht verfügbar ist, es auch nicht zur Sucht kommen kann. Empirische Untersuchungen können diese anschauliche Schlussfolgerung aber nicht hinreichend untermauern. Während zwar Prävalenzstudien existieren, die einen solchen Effekt zeigen können, existieren ebenso Studien, die bei einer Erhöhung der Verfügbarkeit keinerlei Änderung oder sogar einen Rückgang bei der Suchtprävalenz fanden. Auch auf einer Makro-Ebene ist aufgrund der angestellten Ländervergleiche nicht feststellbar, dass Glücksspielregulierungen in Europa mit regulierten Märkten mit privaten Glücksspielanbietern zu einer Erhöhung der jeweiligen Prävalenzraten pathologischen Glücksspiels geführt hätten. Basierend auf dieser Evidenz ist nicht davon auszugehen, dass eine rein quantitative Begrenzung des Glücksspielangebots oder Totalverbote keine wirksame Maßnahme zur Erreichung der Präventionszielsetzung des Glücksspielstaatsvertrags darstellt.
Gerade im digitalen Glücksspielbereich sieht die derzeitige Regulierung vielfach ein totales Verbot vor. Dies wird zumeist über die Besonderheiten des Internets argumentiert: Während manche Forscher feststellen, dass das Internet (lediglich) ein weiterer Vertriebsweg sei, haben andere festgestellt, dass die Möglichkeiten des Internets aber auch dazu führen können, dass sich die Charakteristika der angebotenen Spiele verändern und diese dadurch risikobehafteter werden. Die Diskussion dazu ist noch nicht abgeschlossen, der derzeitige Stand lässt sich aber dahingehend zusammenfassen, dass Online-Glücksspiele eventuell neuartige Risikofaktoren mit sich gebracht haben mögen, durch die Digitalisierung gleichzeitig aber ebenfalls neuartige Methoden des Spielerschutzes möglich werden und das Internet so potenziell als starke
Umgebung für den Spielerschutz ausgestaltet werden kann. Auf Basis der Erkenntnisse der Ländervergleiche ist zu konstatieren, dass es zu keinem (bspw. in Großbritannien befürchteten) Anstieg glücksspielbezogener Probleme durch die Regulierung von Online-Glücksspielen gekommen ist.
Eine gewisse Sonderstellung im Rahmen der gleichrangigen Zielsetzungen des GlüStV nimmt das Ziel der Kanalisierung des natürlichen Spieltriebs der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen ein. Auch mit Blick auf andere Jurisdiktionen zeigt sich, dass die Zielerreichung insbesondere durch die Schaffung eines wettbewerbsfähigen legalen Angebots ohne wesentliche Restriktionen im Produktangebot selbst gefördert wird. Nur unter dieser Bedingung finden beide Marktseiten im Rahmen des regulierten Marktes zusammen.
Gleichzeitig kann und muss die Kanalisierung des Spieltriebs in die angestrebten geordneten und überwachten Bahnen aber auch als Grundvoraussetzung für das Anstreben der weiteren, gleichrangigen Zielsetzungen des GlüStV überhaupt verstanden werden. Nur für ein reguliertes Umfeld kann der Gesetzgeber das Schutzniveau bestimmen und die für die Erreichung dieses Schutzniveaus veranlassten Maßnahmen können ihre Wirkung auf die Verbesserung des Jugend- und Verbraucherschutzes, auf die Spielsuchtprävention oder die Betrugs- und Kriminalitätsabwehr entfalten. Im nicht-regulierten Bereich ist dies grundsätzlich, mit den damit potentiell verbundenen Gefahren, nicht möglich.
Im Hinblick auf das Kanalisierungsziel sollte vor allem die Schaffung eines wettbewerbsfähigen lizensierten Angebots im Vordergrund stehen. Nur auf diese Weise werden sich beide Marktseiten für das regulierte Glücksspielsegment entscheiden. So muss einerseits die Wettbewerbsfähigkeit der Anbieter gewährleistet sein, um im Markt gegen unlizenzierte Glücksspielbetreiber bestehen zu können, andererseits das Angebot attraktiv genug sein, um ebenfalls die Nachfrage zu kanalisieren. Auf diese Weise scheint auch eine Verbesserung des Jugend- und Verbraucherschutzes möglich, da Spieler nur durch ein breites legales Glücksspielangebot vor unlizenzierten Anbietern geschützt werden, die keine Verbraucherstandards befolgen. Die deutsche Glücksspielregulierung bedarf daher einer grundsätzlichen Neuordnung.
Zu den klassischen Gefahrenbildern in Verbindung mit dem Angebot und der Nachfrage von Glücksspielen zählen Delikte wie Betrug, Steuerhinterziehung und Geldwäsche.[11] Diese Gefahren gilt es durch eine effektive Regulierung weitestgehend zu unterbinden. In diesem Zusammenhang besteht eine äußerst schwierige empirische Datenlage zu glücksspielbezogenen Betrugs- und Kriminalitätsfällen in Deutschland. Die Zahl der erfassten Fälle ist sehr gering. Eine höhere Dunkelziffer ist durchaus denkbar, doch gibt es auch Faktoren, die auf eine moderate Gefahr hindeuten. Durch die hohe Nachverfolgbarkeit elektronischer Zahlungsströme und der Kundenidentifizierungsverfahren scheint das Geldwäscherisiko im Online-Glücksspielbereich trotz teilweise hoher Ausschüttungsquoten überschaubar zu sein. Durch die Einbindung von Online-Glücksspielanbieter in den Kreis der Verpflichteten im Zuge der Umsetzung der 4. EU-Geldwäscherichtlinie werden zudem einheitliche Sorgfalts- und Meldepflichten normiert. Auch die Akzeptanz der Kunden in diesem Segment deutet auf eine moderate Betrugsgefahr hin. So lässt sich anhand des Consumer Market Scoreboards der Europäischen Kommission, welches die Marktperformance im Hinblick auf die
Konsumentenfreundlichkeit misst, erkennen, dass der Markt für Online-Glücksspiel und Lotterieservices ein unterdurchschnittliches Maß an Problemen seitens der Konsumenten mit den Anbietern aufweist.
Eine effiziente Betrugs- und Kriminalitätsbekämpfung kann nur auf Grundlage einer erfolgreichen Kanalisierung gelingen, da sich die Angebote im nicht regulierten Markt staatlicher Kontroll- und Einflussmöglichkeiten entziehen. Was die Anbieter von Glücksspielen betrifft, so sollten künftig umfassende Prüfungen im Zusammenhang mit der Lizenzierung sowie laufende Revisionen, Zertifizierungen u.a. von Mitarbeitern, Technik und Software sicherstellen, dass die zugelassenen Anbieter und deren Produkte und Dienstleistungen integer sind. Dem Versuch Krimineller, Glücksspielprodukte zu Lasten der Glücksspielanbieter oder anderer Kunden zu missbrauchen stehen selbstregulatorische und selbstschützende Maßnahmen der Glücksspielwirtschaft entgegen. Aus kommerziellem Interesse und Eigenschutz wirken Anbieter darauf hin, dass die von ihnen angebotenen Produkte und Dienstleistungen transparent und nicht manipulierbar sind. Zu diesen Maßnahmen zählen die Identifizierung und Authentifizierung von Kundendaten, die Erstellung von Spielerprofilen, risikobasierte Analysen sowie ein umfangreiches Überwachungs- und Überprüfungssystem zur Identifikation von Auffälligkeiten. Somit bestehen trotz der sich nicht entfaltenden regulatorischen Wirkung des GlüStV bereits heute einige Schutzmechanismen. Dennoch wäre es wünschenswert, wenn die deutschen Glücksspielaufsichtsbehörden eine empirische Grundlage und einen besseren Überblick über das Marktgeschehen erhalten. Hierzu haben sich in anderen Jurisdiktionen u.a. Safe-Server bewährt, auf denen Transaktionsdaten revisionssicher gespeichert und für Aufsichtsbehörden zur Verfügung gestellt werden.
Ein Sonderfall unter den Zielen des Glücksspielstaatsvertrages ist der Schutz der Integrität des Sports, da mit der Sportwette lediglich eine Art des Glücksspiels adressiert wird. Schutzobjekt ist die Unversehrtheit und Unbeeinflussbarkeit sportlicher Wettbewerbe durch die Abwehr wettbezogener Spielmanipulation – auch präventiv im Vorfeld der eigentlichen Gefahrenabwehr.[12] Bei der Erreichung dieses Ziels ist der Glücksspielstaatsvertrag von 2012 aus zwei Gründen auf ganzer Linie gescheitert. Zum einen verhindert die missglückte Kanalisierung in einen regulierten Sportwettenmarkt effektiven Integritätsschutz hinsichtlich der bewettbaren Wettbewerbe. Das strukturell defizitäre – sinnwidrig quantitativ begrenzte – Konzessionsmodell war als fauler Kompromiss zwischen staatlichem Veranstaltungsmonopol und zunehmendem europarechtlichen Kohärenzdruck zum Scheitern verurteilt und ist bis heute der Ursprung des Schwarzmarktwachstums. Zum anderen fehlt hinsichtlich der Effektivität der im Glücksspielstaatsvertrag enthaltenen Restriktionen über Art und Umfang zulässiger Sportwetten jeglicher wissenschaftlich-empirischer Rückhalt. Sowohl das Verbot sogenannter “Ereigniswetten” als auch die restriktive Regulierung von Live-Wetten stellen mangels Geeignetheit, zur Manipulationsprävention beizutragen, eine unverhältnismäßige Einschränkung der europäischen Dienstleistungsfreiheit dar. Signifikante anbieterseitige Limits bei Live- und Ereigniswetten begrenzen die Liquidität dieser Märkte und erhöhen das Entdeckungsrisiko potenzieller Manipulatoren. Zugleich konterkariert die Untersagung dieser seitens der Verbraucher stark nachgefragten Wettarten das Kanalisierungsziel. Es ist zu empfehlen, zugunsten des Schutzes der sportlichen Integrität von der empirisch rückhaltlosen, willkürlichen Unterscheidung von Live- und Pre-Match-Wetten sowie von Ergebnis- und
Ereigniswetten abzurücken und stattdessen, wie im erfolgreich regulierten britischen Sportwettenmarkt, die Wettverläufe lizenzierter Anbieter engmaschig zu kontrollieren.
Weitere zielorientierte Maßnahmen sind der Ausschluss von Wetten auf Amateur- und Jugendspiele, die Beibehaltung der Inkompatabilitätsregelungen und die weitere Promotion von Frühwarnsystem. Darüber hinaus sind die Glücksspielaufsichtsbehörden aufgerufen, ihrem selbstgesteckten Anspruch gerecht zu werden und den Sportbeirat kontinuierlich beratend in seine Entscheidungsprozesse einzubinden. Die Mitglieder des Sportausschusses fühlen sich bislang zu selten zu Rate gezogen und sehen ihre Positionen in den Beiträgen des Glücksspielkollegiums nicht angemessen repräsentiert.
Fazit
Die Evaluierung der deutschen Glücksspielregulierung zeigt, dass die Ziele des Glücksspielstaatsvertrages richtig gesetzt und angemessen sind, den berechtigten Schutzinteressen des Staates zu dienen. Jedoch ist der in Deutschland bislang gewählte Ansatz, diese Ziele durch Monopole, selektive Marktöffnung, Restriktionen und Totalverbote vieler Spielformen durchzusetzen als inkohärent und – wie auch die bisherige Verwaltung durch das verfassungswidrige Glücksspielkollegium – für die Zielerreichung ungeeignet. Die Ziele des GlüStV werden, teils deutlich, verfehlt. Der internationale Vergleich mit anderen EU-Mitgliedsstaaten zeigt, dass dies kein exklusiv deutsches Phänomen ist. Dennoch haben viele europäische Staaten bereits durch eine kontrollierte Marktöffnung nach qualitativen Kriterien ein weitaus höheres Schutz- und Kontrollniveau erreicht als Deutschland. Der DICE Kanalisierungs-Index und unsere Analyse dieser Länder deutet darauf hin, dass Regulierungsmodelle wie in Großbritannien oder Dänemark geeigneter sind, die Ziele des GlüStV zu erfüllen als der bisher von den Bundesländern verfolgte Ansatz.
Aufbauend auf den Erkenntnissen dieser Evaluierung lassen sich zwei zentrale Schlussfolgerungen ziehen, wie die Ziele des GlüStV in Zukunft besser erreicht werden können. Zum einen zeigt sich, dass eine kontrollierte Öffnung des Glücksspielmarktes nicht zu einem erkennbaren Anstieg der Suchtprävalenz führt, sondern dem Staat die Kontrolle über den Markt verschafft. Durch eine kontrollierte Öffnung gewinnen die Aufsichtsbehörden einen besseren Überblick über das Marktgeschehen und damit die Möglichkeit auch schutzbedürftige Spieler besser zu adressieren. Zum anderen erlangen staatliche Behörden eine wesentlich bessere Datengrundlage, welche wiederum dazu beiträgt, die Regulierung evidenzbasiert weiterzuentwickeln und zu verbessern. All dies setzt eine möglichst effektive Kanalisierung voraus, weswegen dieser Zielstellung des GlüStV der Status primus inter pares eingeräumt werden muss.
Die Digitalisierung des Glücksspielmarktes sollte zudem nicht allein als Risiko, sondern auch als Chance zur besseren Kontrolle des Marktes betrachtet werden. Mit einer Ausdehnung des Glücksspiels ins Internet verliert der Markt zwar seine natürlichen Grenzen und es entstehen weitere Missbrauchspotenziale für Wachstum. Die Digitalisierung öffnet allerdings auch den Weg für neuartige, äußerst effektive Sicherheits- und Kontrollmaßnahmen. Ob Suchtprävention durch zentrale Sperrung gefährdeter Spieler, die flexible Limitierung von Einsätzen, den Schutz der Verbraucher vor Spielmanipulation und Betrug oder der Gefahrenabwehr im Bereich der Geldwäsche – moderne Monitoring-, Sperr- und Identifizierungssysteme ermöglichen dem Regulator eine umfassende Kontrolle des Marktes.
Aus den genannten Gründen und unter Einbezug des internationalen Vergleichs scheint die Ausgestaltung der Regularien des deutschen Glücksspielstaatsvertrags im Hinblick auf das Ziel der Kanalisierung, das als Grundvoraussetzung für sämtliche anderen, gleichgestellten Ziele des Glücksspielstaatsvertrags betrachtet werden kann, als derzeit völlig verfehlt und dringend überarbeitungsbedürftig.
Prof. Dr. Justus Haucap ist Direktor des Düsseldorf Institute for Competition Economics.
[1] Hintergrund dieser Selbstbindung sind die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 8. September 2010 (EuGH, Urteil vom 8. September 2010, C-316/07 (Markus Stoß u.a.); Urteil vom 8. September 2010, C-46/08 (Carmen Media); Urteil vom 8. September 2010, C-409/06 (Winner Wetten)).
[2] Der EuGH erhebt diese Forderung in ständiger Rechtsprechung, z. B. in den dem Carmen Media-Urteil nachfolgenden Urteilen vom 4. Februar 2016 in der Rechtssache C-336/14, Ince, vom 24. Januar 2013 in den verbundenen Rechtssachen C-186/11 und C-209/11, Stanleybet OPAP, vom 30. Juni 2011 in der Rechtssache C-212/08, Zeturf, und vom 15. September 2011 in der Rechtssache C-347/09, Dickinger und Ömer; [zur Entwicklung des Kohärenzgebots im Europarecht Uwer und Koch, Das europarechtliche Kohärenzgebot im Glücksspielrecht und die spielhallenbezogenen Beschränkungen und Verbote im Entwurf eines Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrages, in: Herrmann et al., 2012: 136, 142 ff.]
[3] Vgl. dazu Nolte, M., Rechtlicher und zeithistorischer Kontext, in: Haucap, J., M. Nolte und H. Stöver (Hrsg.) (2017), aaO., S. 26-34.
[4] Vgl. Haucap, J. et al., Kanalisierung, in: Haucap, J., M. Nolte und H. Stöver (Hrsg.) (2017), aaO., S. 105.
[5] Vgl. Haucap, J. et al., aaO., S. 106 f.
[6] Vgl. Haucap, J. et al., aaO., S. 106 f.
[7] Vgl. Haucap, J. et al., aaO., S. 130 ff.
[8] Vgl. Haucap, J. et al., aaO., S. 138 ff.
[9] Vgl. Haucap, J. et al., aaO., S. 158 ff.
[10] Vgl. Stöver, H. und K. Baur, Spielsuchtbekämpfung, Jugend- und Spielerschutz, in: Haucap, J., M. Nolte und H. Stöver (Hrsg.) (2017), aaO., S. 37-94.
[11] Vgl. Haucap, J. et al., Betrugs-/Kriminalitätsbekämpfung, in: Haucap, J., M. Nolte und H. Stöver (Hrsg.) (2017), aaO., S. 166-191.
[12] Vgl. Nolte, M. und A. Wördehoff, Schutz der Integrität des sportlichen Wettbewerbs, in: Haucap, J., M. Nolte und H. Stöver (Hrsg.) (2017), aaO., S. 192-223.