Prof. Dr. Christian Jahndorf im Interview
Der Steuerrechts-Experte Prof. Dr. Christian Jahndorf unterrichtet am Institut für Steuerrecht der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und ist zudem Leiter des Fachbereichs Internationales Steuerrecht bei der Wirt-schaftsprüfungsgesellschaft HLB Dr. Schumacher & Partner. Mit uns sprach der Rechtsanwalt über die Fehler bei der Auslegung der Härtefallklausel in Niedersachsen und warum der Härtefall sachgerecht ausgelegt werden sollte.
Herr Jahndorf, Was ist bei der Auslegung der Härtefallklausel besonders zu beachten?
Die Auslegung der Härtefallklausel in § 29 Abs. 4 Satz 4 GlüStV hat sich um drei Aspekte zu kümmern. Der erste Aspekt betrifft die Tatbestandsmerkmale, die erfüllt sein müssen, damit normativ ein Härtefall vorliegt. Da es vorliegend um den Eingriff in das grundrechtlich geschützte Eigentum geht, wird der Härtefall insbesondere durch vermögensrechtliche Aspekte bestimmt. Der Verlust künftiger Gewinnchancen begründet keinen Härtefall, eigentumsrechtliche Vermögensschäden dagegen schon (Stichworte: Abschreibung, Amortisation, nachlaufende Verpflichtungen).
Der zweite Aspekt betrifft die Frage, ob ein Härtefall deswegen verneint werden kann, weil der Betroffene anderes Vermögen (insbesondere in Gestalt weiterer Spielhallen an anderen Orten) hat und wegen des Verhältnisses zu dem anderen Vermögen die Belastungswirkung verhältnismäßig gering zu sein scheint. Ist also der Härtefall standortbezogen oder unternehmensbezogen auszulegen? Es gibt keinen Rechtssatz, wonach die Verhältnismä-ßigkeit eines Eingriffs davon abhängt, dass der Betroffene anderes Vermögen hat. Maßstab ist die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs, nicht die Bedürftigkeit des Betroffenen. Der dritte Aspekt ist ein rechtsdogmatischer. Er betrifft das Verhältnis von Regel und Ausnahme. Diesen Aspekt möchte ich vertiefen.
Unter einigen Juristen besteht die Auffassung, die auch von der Niedersächsischen Regierung vertreten wird, dass der Härtefall restriktiv auszulegen sei, weil es sich um eine Ausnahme handele. Wie stehen Sie dazu?
Diese Auffassung möchte ich mit dem anerkannten Stand der juristischen Methodenlehre konfrontieren. Der Satz „Ausnahmevorschriften sind eng auszulegen“ ist eine Pseudoregel (Friedrich Müller/Ralph Christensen, Juristische Methodik, 11. Aufl. 2013, Rz. 373). Sollte es eine solche Regel je gegeben haben, so ist sie jedenfalls heute durch die Methodenlehre überwunden. Bereits im Jahr 1974 hatte das Bundesverfassungsgericht in der sog. Zustimmungsgesetzentscheidung im 37. Band überzeugend dargelegt, dass die „Regel-Ausnahme-Figur“ nicht mehr als ein gesetzestechnisches Mittel zur Abgrenzung zwischen Sachverhaltsgruppen ist, die verschieden behandelt werden sollen. Strittig war in dem Verfahren, ob ein bestimmtes Änderungsgesetz der Zustimmung des Bundesrats bedürfe. Die Bundesregierung hat in dem Verfahren argumentiert, dass es der Zustimmung nicht bedürfe, weil Zustimmungsgesetze die Ausnahme seien und das einfache Bundesgesetz (Einspruchsgesetz) die Regel sei. Würde man jedes Änderungsgesetz der Zustimmungspflicht unterwerfen, würde das Regelverhältnis umgekehrt, die Ausnahme würde zur Regel. Das dürfe nicht sein.
Diese Argumentationsfigur hat das Bundesverfassungsgericht verworfen. Das Bundesverfassungsgericht stellt die „Regel-Ausnahme-Figur“ als bloße Gesetzestechnik dar. Damit sei über die Zahl der Fälle in der einen oder anderen Gruppe nicht das Geringste ausgesagt. Die Zahl der vermeintlichen Ausnahmefälle könne unverhältnismäßig größer sein als die Zahl der vermeintlichen Regelfälle. Der parlamentarische Rat mag sich „verrechnet“ haben. Dass sich eine größere Anzahl als erwartet und vorhergesehen ergebe und am Ende tatsächlich die Ausnahme zur Regel und die Regel zur Ausnahme werde, sei kein rechtliches Argument, die Ausnahme „möglichst klein zu halten“. Gerade die Ausnahme, den Härtefall, möglichst kleinzuhalten, ist das erklärte Ziel der Landesregierung. Spätestens seit dieser Entscheidung des BVerfG lässt sich dieses Auslegungsergebnis nicht mehr aus der Regel-Ausnahme-Figur ableiten.
Dieses Interview erschien in voller Länger in der Fachzeitschrift „Beiträge zum Glücksspielwesen“ Ausgabe 4/2016. Diese kann hier im Jahresabo oder einzeln bestellt werden.