(Navas, J. F., Billieux, J., Perandrés-Gómez, A., López-Torrecillas, F., Cándido, A., & C. Perales, J. C.)
Navas und Kollegen untersuchen die Frage, ob sich bestimmte Gruppen von Glücksspielern in ihren Verhaltensweisen (z. B. Impulsivität) und Glückspielüberzeugungen (z. B. Kontrollillusion) voneinander unterscheiden. Zum einen interessierten sie Unterschiede zwischen Personen mit und ohne eine Störung durch Glücksspielen. Sie untersuchten dazu 71 Patienten mit einer Störung durch Glücksspielen (PSGS) und 74 Freizeitglücksspieler (FGS). Zum anderen unterschieden sie Typen von Glücksspielern nach ihrer Glücksspielpräferenz. Sie befragten beide Gruppen von Glücksspielern, welche Arten von Glücksspiel sie häufiger und lieber betreiben. Mithilfe eines mathematischen Modelles wurde dann geprüft, ob Spieler, die eine bestimmte Art von Glücksspiel gern mögen, auch andere Arten von Glücksspiel bevorzugen. Es wurden unabhängig von der Gruppe (FGS oder PSGS) zwei verschiedene Typen extrahiert: Dabei bevorzugt Typ I vermeintlich kompetenzbasierte Glücksspiele wie Karten- und Casinospiele sowie Wetten, Typ II bevorzugt rein zufallsbezogene Glücksspiele wie Automatenspiel, Lotterien und Bingo. Die Typisierung wurde durchgeführt, da man in Klinik und Forschung bemerkt hat, dass Glücksspieler, die eher Ablenkung suchen, häufiger am Automatenspiel teilnehmen, wohingegen Personen mit einem hohen Selbstwert eher Karten spielen oder an Sportwetten teilnehmen und eher seltener an Automaten spielen.
Alle Teilnehmer wurden zu ihren Persönlichkeitseigenschaften und ihren Glücksspielüberzeugungen befragt, bei denen aus früheren Studien bekannt ist, dass sie im Zusammenhang mit Glücksspielen verändert sein können.
Impulsivität wurde dabei auf mehreren Subskalen erfragt: Wie stark sich die Teilnehmer aufgrund von positiven oder negativen Gefühlen zu überstürzten Handlungen hinreißen lassen (1. positive und 2. negative urgency), wie stark ihre Tendenz zu neuen und aufregenden Aktivitäten ist (3. sensation seeking), wie häufig sie Entscheidungen treffen, ohne über die Konsequenzen nachzudenken (4. lack of premeditation) und wie gut sie sich langweiligen, gedanklich herausfordernden und langen Aufgaben widmen können (5. lack of perseverance). In der Glücksspielforschung hat sich gezeigt, dass 1., 2. und 4. bei PSGS stärker ausgeprägt sind.
Auch die Sensitivität der Teilnehmer gegenüber Belohnung und Bestrafung wurde erfragt. In Experimenten hat sich gezeigt, dass PSGS stärker auf Belohnung als auf Bestrafung reagieren, was erklären würde, warum sie bei Verlusten mit dem Glücksspielen eher fortfahren. Es gibt allerdings auch gegenteilige Befunde.
Weiterhin wurde erfragt, ob die Teilnehmer lieber eine kleine Belohnung, die sie sofort erhalten, oder eine große Belohnung, die sie erst später erhalten, bevorzugen. Dies wird in der psychologischen Forschung auch als Belohnungsaufschub bezeichnet. PSGS neigen eher dazu, die kleinere Belohnung sofort entgegenzunehmen. Zuletzt wurden alle Teilnehmer zu ihren Glücksspielüberzeugungen befragt. In der Forschung hatte sich gezeigt, dass die meisten Glücksspieler dazu neigen, einen erhöhten eigenen Einfluss, Muster in zufälligen Glückssträhnen oder kausale Beziehungen zwischen zufällig gleichzeitig auftretenden Umgebungsmerkmalen und Glücksspielergebnissen zu erkennen. Insbesondere neigen Personen, die Wetten auf kompetenzbasierte Glücksspiele bevorzugen, zu solchen Kotrollillusionen beim Glücksspiel.
Als Ergebnisse der Studie zeigte sich, dass PSGS sich stärker von positiven und negativen Emotionen zu überstürzten Handlungen verleiten lassen. Die Autoren sehen vor allem den unpassenden Umgang mit negativen Emotionen als starken Indikator für eine Störung durch Glücksspielen, da Glücksspiel von PSGS als Emotionsregulations- und dysfunktionale Bewältigungsstrategie genutzt wird. Die Autoren vermuten weiterhin, dass Typ II (u. a. Automatenspiel, FSG und PSGS kombiniert) sensitiver gegenüber den „angstlösenden“ Eigenschaften von Glücksspiel ist.
Teilnehmer, die kompetenzbasierte Glücksspiele (Typ I) bevorzugten, waren belohnungssensitiver und zeigten stärkere Kontrollillusionen. Bei den PSGS vom Typ I waren diese Überzeugungen am stärksten ausgeprägt und sollten in der Therapie dieses Spielertyps eine Rolle spielen, da er sich hierdurch von den eher zufallsbasierten Automatenspielern (Typ II) stark unterscheidet.
Schwächen der Studie sind, dass alle erhobenen Daten auf Befragungen aufbauen und somit wie jede Selbstauskunft durch Erinnerung oder soziale Erwünschtheit verzerrt sein können. Weiterhin wurden die PSGS erst nach ihrer Behandlung befragt, womit der zeitliche Abstand zum Glückspielen größer ist und somit eventuell die Richtigkeit der Selbstauskünfte geringer. Da nicht an zwei verschiedenen Messzeitpunkten gemessen wurde, kann man z. B. nicht abschätzen, ob Glücksspielen einen Einfluss auf fehlenden Belohnungsaufschub hat oder fehlender Belohnungsaufschub auf Glücksspielen. Große Stärken der Studie sind der Gruppenvergleich zwischen PSGS und FGS und der unabhängige Vergleich von verschiedenen Spielertypen sowie der Versuch, sehr viele wissenschaftliche Erkenntnisse zu Glücksspiel in einer Studie zu vereinen. Das Ziel, Typen von Glücksspielern zu ermitteln, ist für die klinische Therapie der Glücksspielstörung, für die Präventionsarbeit und für die Forschung von Bedeutung, da es verschiedenartige Modelle der Störungsentwicklung und dementsprechende Interventionsstrategien nahelegt.
International Gambling Studies (2017), 17(1), 102–124, doi: 10.1080/14459795.2016.127573