Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Eckpunktepapier Internet
(Robert Schippel) Seit fünf Jahren regelt das Eckpunktepapier Internet die Einzelfallausgestaltung für eine Ausnahme vom strikten Internetverbot nach § 4 Abs. 5 GlüStV. Die Systematik der Öffnungsklausel hat sich nicht bewährt.
Das Eckpunktepapier Internet mit Stand 2016 gibt auf fünf Seiten Handlungsvorgaben für Erlaubnisinhaber von Online-Angeboten nach dem GlüStV. Das Papier ist umstritten. Zunächst ist es mit dem Glücksspielkollegium, dem Zusammenschluss der für das Glücksspielrecht zuständigen Regulierer aller Bundesländer, das vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof das Prädikat „demokratisch nicht legitimiert“ erhalten hat, untrennbar verbunden. Inhaltlich sorgt es in Teilen für eine Überregulierung und durch die Entwicklungen der letzten fünf Jahre ist es inhaltsleer geworden.
- Überregulierung anhand des § 4 Abs. 5 Nr. 1 GlüStV
Kerninhalt und wichtigste Ausgestaltung durch das Eckpunktepapier Internet ist der Ausschluss Minderjähriger nach § 4 Abs. 5 Nr. 1 GlüStV. Dessen Regelung nimmt ganze zwei Seiten in Anspruch und vertieft sich in verschiedene Ansatzpunkte.
- a) Ausschluss minderjähriger Spieler (§ 4 Abs. 5 Nr. 1 GlüStV)
Minderjährige sind aufgrund der seitens des Gesetzgebers vermuteten leichten Begeisterungsfähigkeit nach § 4 Abs. 3 S. 2 GlüStV vom Glücksspiel generell ausgeschlossen. Schon die gesetzliche Regelung schreibt eine Identifizierung und Authentifizierung vor, ohne zu definieren, was unter den beiden Begriffen zu verstehenden ist.
Hier wird das Eckpunktepapier zur technischen und fachlichen Umsetzung, die analog zur Kommission Jugendmedienschutz gefordert werden, herangezogen. Der Ausschluss Minderjähriger soll im Rahmen einer persönlichen Identifizierung der Spieler erfolgen. Obgleich die Spielteilnahme online geplant ist, soll der Spieler persönlich vor Ort erscheinen, um sich unter Vorlage seines Ausweises zu identifizieren: de facto ein Medienbruch.
Zu Beginn des GlüStV war in vielen Bundesländern lediglich die persönliche Identifizierung in einer Post-Filiale oder in einer Lotto-Annahmestelle erlaubt. Das hatte für unter dem GlüStV regulierte Online-Glücksspielanbieter Abbruchquoten im Registrierungsverfahren im Bereich bis zu
60 Prozent aller neuen Spieler zur Folge. Dabei war die anfängliche Höhe der Abbruchquote u. a. der Tatsache geschuldet, dass schon die vorgehende Abfrage bei einer Datenbank (über den Schufa-Identitätscheck Premium) diese schlechten Ergebnisse mitverschuldet. Umlaute beim Namen oder Wohnort sowie lückenhafte Daten der den Abgleichsdatenbanken zuliefernden Banken führten schon rasch nach der Registrierung bei einem Online-Glücksspielangebot zur Aufforderung, sich zwecks persönlicher Identifizierung zur nächsten Annahmestelle zu begeben.
Allerdings hat sich aufgrund dessen bereits eine Aufweichung zu den früheren, strengeren Vorgaben des Eckpunktepapiers ergeben. Im selben Atemzug, wie die persönliche Identifizierung gefordert wird, wird gleichfalls auch die Möglichkeit der Nutzung einer Videokonferenz eingeräumt. Außerdem wurden abhängig von Bundesland zu Bundesland weitere Verfahren zugelassen. Das aussichtsreichste Verfahren dürfte das Ein-Cent-Verfahren, bei welchem dem künftigen Spielteilnehmer zur Identifizierung ein Mikrobetrag einschließlich einer PIN im Verwendungszweck überwiesen wird, sein. Die bereits angesprochene Videoidentifizierung sowie die Nutzung von weiteren Identifizierungs- und Zahlungsverfahren (wie Giropay-ID) ergänzen die erlaubten Identifizierungsmethoden. Dennoch bleiben zweistellige Abbruchquoten (im Regelfall über 25 Prozent) aufgrund der Vorgaben des GlüStV weiterhin treuer Begleiter der regulierten Glücksspielanbieter.
So über den nationalen Tellerrand hinausgeblickt wird, wird aber recht schnell deutlich, dass sich die deutsche Regulierung eher auf der überregulierten Seite bewegt.
Schlimmer als in Deutschland ist die Situation nur noch in Tschechien. Dort stellte sich das Finanzministerium in Zuge der Glücksspielreform 2016/2017 ähnlich den Bundesländern in den Anfangsjahren des Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrags eine Face-to-Face-Kontrolle für Online-Glücksspielanbieter mit dem damit verbundenen obligatorischen Medienbruch vor. Die nach tschechischem Recht zwingend erforderliche Identifizierung sollten Spieler entweder in Banken, Bürgerbüros sowie bei Notaren oder, soweit eine Niederlassung des jeweiligen Glücksspielanbieters existierte, dort vornehmen können. Die einhellige Meinung in der einschlägigen Branchenliteratur greift dann auch postwendend auf die Adjektive altmodisch und abschreckend für eine Beschreibung der Identifizierungslösung zurück, zumal staatliche Lotterien und Auslosungen von dieser Verpflichtung ausgenommen waren.
Das wohl geringste Korsett hinsichtlich Identifizierungsvorgaben geben die UK Gambling Commission, die dänische Glücksspielaufsicht und österreichische Behörden vor. Die UK Gambling Kommission erwartet den Ausschluss Minderjähriger und erwartet vom beantragenden Unternehmen, dass eine taugliche fachlich-technische Lösung vor Lizenzerteilung vorliegt. Die dänische Glücksspielaufsicht verlangt vom Erlaubnisinhaber, die beigebrachten Informationen des Spielers anhand der für das E-Government bereitgestellten eID-Bürgerdatenbank zu verifizieren, ohne hier zu spezielle Vorgaben zu treffen, während in Österreich ein tragfähiges Konzept vorgelegt werden muss, indem darzulegen ist, wie eine Identifizierung (die zudem erst ab Überschreiten einer Einsatzgrenze notwendig wird) vorgenommen wird.
Aufgrund der inhaltlichen Ausrichtung des Eckpunktepapiers auf Vorgaben, die zum Schutz Minderjähriger vor Pornografie entwickelt wurden, darf es nicht verwundern, dass über kurz oder lang die Frage gestellt werden muss, ob die Abbruchquoten der Vergangenheit oder selbst die niedrigeren Abbruchquoten der Gegenwart nicht zu einer Zielverfehlung des § 1 GlüStV geführt haben. Wenn Spieler schon an der Registrierung und Identifizierung scheitern, kann es dann überhaupt ein kanalisierungsfähiges Angebot geben?
Dieser Beitrag erschien in voller Länge in der Fachzeitschrift „Beiträge zum Glücksspielwesen“ Ausgabe 1/2018. Diese kann hier im Jahresabo oder einzeln bestellt werden.
Robert Schippel, LL.M., war sechs Jahre bei Lotto Bayern mit Schwerpunkt Glücksspielrecht tätig, bevor er 2018 in die Kanzlei Hambach&Hambach wechselte.