von Prof. Dr. Gerhard Meyer
Mit der 6. Novelle der Spielverordnung (SpielV), die am 11. November 2014 in Kraft getreten ist, sollten u. a. Umgehungstatbestände, wie sie seit 2006 durch das Spiel um Surrogate (bzw. Punkte) ermöglicht wurden, ausgeschlossen werden (BR-Drs. 437/13). Durch die Umbuchung der Geldeinsätze in gleichgroße Zahlenwerte, die als Punkte bezeichnet wurden, war es den Anbietern gelungen, die Regelungen zur Einsatz- und Gewinnhöhe sowie zur Mindestspieldauer zu umgehen, verbunden mit einer durchschnittlichen Zuwachsrate der Bruttospielerträge der Geldspielgeräte von rund 10 Prozent pro Jahr (vgl. Abb. 1). Weitere Maßnahmen zur Korrektur von Fehlentwicklungen und Verbesserung des Spielerschutzes betreffen die Löschung aller Speicher nach drei Stunden, die Begrenzung der Darstellung von Gewinnaussichten auf 300 Euro und das Verbot der Automatiktaste. Nach einer Übergangsfrist von vier Jahren müssen seit dem 11. November 2018 alle aufgestellten Geldspielgeräte den neuen Vorgaben der SpielV entsprechen. An den Geräten der neuen Generation nach der Technischen Richtline 5.0 (TR 5.0) der Physikalisch Technischen Bundesanstalt (PTB) konnten erste Erkenntnisse zu der Umsetzung der Vorgaben durch die Automatenindustrie gewonnen werden.
Das (primäre) Spielgeschehen, das den Regelungen der SpielV entspricht, besteht nur noch aus der Umbuchung von Geld in Merkmale, für die sich lediglich die Begrifflichkeit geändert hat. Der Begriff “Punktespeicher” wurde durch “Bank” ersetzt. Die Umbuchung erfolgt nicht mehr eins zu eins wie beim Punktespiel, sondern nur wenig davon abweichend mit sehr geringen Kursschwankungen. Vorgaben zur Höhe dieses “Wechselkurses” und seinen äußerst kleinen Schwankungen gibt es in der SpielV nicht. Der Umbuchungsprozess läuft beispielsweise an den Geräten der Firma Gauselmann über eine sog. Miniwalze. Demgemäß werden alle Geldeinsätze per automatischer Ermittlung eines nur wenig schwankenden Umrechnungskurses auf den “Bankspeicher” transferiert. Bei drei Feldversuchen ergab der Einwurf von jeweils zehn Euro ein Bankguthaben von 1.010, 990 und 1.000. Für die Spieler/-innen stellen die angezeigten Wertpunkte aufgrund der zum Geldspeicher konkludenten Funktionsweise (offenkundig) in Euro bemessene Geldwerte dar. Auch kann ein bei der Gutschrift der Einsätze ungünstiger Kurs mit einem vorteilhaften Kurs bei der Rückbuchung von Einsatz- und Gewinnwerten auf den Geldspeicher ausgeglichen werden.
Mit den Wertpunkten auf der Bank läuft dann das eigentliche (sekundäre) Spiel mit hohen Einsätzen und Gewinnen ab. Hier greifen die Vorgaben der SpielV nicht mehr, denn das Kontrollmodul überwacht nicht den nachgeschalteten Bankspeicher. Einsätze von bis zu 200 Wertpunkten auf der Bank (im Gegenwert von ca. zwei Euro) sind alle ein bis zwei Sekunden ebenso möglich wie Gewinne von 100.000 Punkten (fast genau 1.000 Euro). Eine Starttaste ermöglicht den automatischen Ablauf. Die erzielten Gewinne auf der Bank lassen sich anschließend beispielsweise über die Ausspielung auf der Miniwalze wieder mit sehr geringen Abweichungen vom 1:1 Kurs in Geld transferieren. Die hohen Gewinnaussichten in Bankwerten (bspw. 100000 an einem Gerät der Firma Bally Wulff), die wie Geldbeträge mit zwei kleiner gestellten Ziffern am Ende (100000) dargestellt werden, sind – trotz der Vorgabe des maximalen Stundengewinns von 400 Euro – realisierbar, da die Löschung aller Speicher erst nach 3 Stunden erfolgen muss. Die Gutschrift derart hoher Gewinne auf den Geldspeicher erfolgt währenddessen schrittweise in erlaubten Raten, einem weiteren Umbuchungsvorgang.
Es bleibt festzuhalten, dass es sich bei dem Umbuchungsprozess von Geld in geldäquivalente Werte (auf die Bank und zurück auf den Geldspeicher) nicht um einen Spielvorgang handelt. Als Rechtfertigung für die Akzeptanz dieses Prozesses als Spiel verweist die PTB auf die Spieldefinition in der SpielV (§ 13 Nr 1) und die physikalisch-technische Prüfbarkeit. Ein Spiel, das von den Teilnehmer/-innen auch als solches wahrgenommen wird, findet allerdings erst im Merkmalsraum nach diesen Buchungsvorgängen statt, die einzig und allein der Umgehung (der Grenzwerte) des Kontrollmoduls der SpielV dienen. Denn nur dieses teure und kurze Spiel (und nicht der Umbuchungsprozess) variiert mit den vielen am selben Gerät spielbaren Spielvarianten. Auch die geringen Kursschwankungen in dem Umbuchungsprozess sind als Hinweis für das auf die Gesetzesumgehung ausgerichtete Spielsystem zu werten. Solche dem Geldspeicher nachgeschalteten Wertspeicher, die vom Kontrollmodul nicht überwacht werden, entsprechen nicht dem Zweck der gesetzlichen Vorgaben für gewerbliche Spielautomaten im Sinne des Spielerschutzes.
Zwar konnte durch die Vorgabe der Speicherlöschung nach drei Stunden eine Reduzierung des Höchstgewinns erreicht werden. Nach wie vor locken die Geräte aber – gesetzeskonform – mit potenziellen Gewinnen, die einen Vermögenswert darstellen, was eigentlich durch die Novellierung der SpielV verhindert werden sollte (vgl. BR-Drs. 437/13). Ein Gewinn in Höhe von 1.200 Euro (drei Stunden á 400 Euro) sorgt für einen hohen Spielanreiz, ist mit einer unmittelbar stimulierenden Wirkung verbunden und fördert die Jagd nach einem Verlustausgleich(Chasing-Verhalten). Effektive suchtpräventive Eingriffe in die Spielstruktur erfordern eine Begrenzung der Gewinnhöhe auf ein deutlich niedrigeres Niveau. Verbote relevanter Speicher oder Speicherlöschungen in kürzeren Zeitabständen (im Zehn-Minutenstatt Drei-Stunden-Takt) und damit die Unterbindung beziehungsweise Beschränkung von Merkmalsübertragungen wären in diesem Kontext zielführende Maßnahmen. Bei einem Speicherverbot würde der Höchstgewinn pro Spiel tatsächlich zwei Euro betragen, wie es in der SpielV zur Abgrenzung der Geldspielgeräte vom Glücksspiel vorgesehen ist (Höchstgewinn bei Speicherlöschung nach zehn Minuten: 240 Euro). Es besteht dringender Handlungsbedarf, die offensichtlichen Umgehungen der SpielV zu korrigieren. Zielführend wären weitere Einschränkungen relevanter Speicher (als effektivste Maßnahme) oder die Vorgabe substanzieller Abweichungen für Umbuchungsprozesse (bis hin zum Verlust des Einsatzes), die zumindest dieser Umgehungsvariante ein Ende bereiten würde. Zukünftig sollte bei der Zulassung der Geräte zudem neben der rein technischen Prüfung durch die PTB auch eine kritische Beurteilung der Auswirkungen der Spielsysteme auf das Erleben und Verhalten der Spieler/-innen erfolgen. Schließlich gilt es, dem Schutzzweck der Verordnung gerecht zu werden.
Prof. Dr. Gerhard Meyer ist Diplom-Psychologe am Institut für Psychologie und Kognitionsforschung (IPK) der Universität Bremen. Einer seiner Arbeitsschwerpunkte ist die Forschungstätigkeit zu den Entstehungsbedingungen und Folgen glücksspielbezogenen Suchtverhaltens sowie der Prävention dieses Krankheitsbildes.