von Prof. Dr. Gregor Kirchhof
Die lange Diskussion über die Glücksspielregulierung geht gegenwärtig in eine neue und vielleicht in die entscheidende Runde. Nach der Reform im Jahr 2012 sollte in diesem Jahr der Glücksspielstaatsvertrag erneut novelliert werden. Von vornherein wurden nur “minimalinvasive Änderungen” erwogen. Doch auch über diese konnten die Bundesländer keinen Konsens erzielen. Dieses Scheitern eröffnet die Chance für die notwendige grundlegende Reform.
Die Glücksspielregulierung ist insbesondere aus drei Gründen gescheitert. Die Politik konnte – erstens – bis heute die erforderliche Einigung über ein stringentes Regelungskonzept nicht erzielen. Grundlegend wird um das notwendige Maß der Liberalisierung gerungen. Zudem werden mit guten Gründen neue Möglichkeiten des Jugend- und Spielerschutzes erwogen, selbst gesetzte Limits und Sperren, besondere Identifikationen, Informations- und Transparenzpflichten, Zertifizierungen und Beschränkungen der Werbung erörtert.
Das Glücksspielrecht erreicht auch aufgrund dieser Uneinigkeiten – zweitens – seit Jahren seine wichtigen Regulierungsziele nicht. Die Jugend und die Spieler werden nicht hinreichend geschützt, der Kampf gegen Kriminalität und Geldwäsche ist nicht erfolgreich genug. Auch in einer finanziellen Perspektive sind die Bahnen des geordneten und regulierten Glücksspiels zu weiten: Mehr Erträge würden steuerlich erfasst, die Steuereinnahmen erheblich gesteigert.
Die mangelnde rechtliche Konsistenz und die unzureichende Zielerreichung haben – drittens – zu erheblichen Rechtsunsicherheiten geführt. Der EuGH und das Bundesverfassungsgericht fordern nachdrücklich ein konsistentes und verhältnismäßiges Regulierungskonzept ein. Das Bundesverwaltungsgericht hat für den Herbst dieses Jahres eine – das ist die Ausnahme – zweitägige mündliche Verhandlung im Bereich des Wett- und Lotterierechts angekündigt. Der so betonte erhebliche rechtliche Klärungsbedarf weist auf den Auftrag, das Glücksspielrecht grundlegend zu reformieren.
Der zentrale Auftrag der notwendigen Reform liegt damit auf der Hand: In einem stringenten Regelungskonzept sind die Regulierungsziele rechtssicherer und besser zu erreichen. Juristische Korrekturen müssen zudem insbesondere in drei Bereichen vorgenommen werden. Erstens sind die gesamten Entscheidungsstrukturen im Glücksspielwesen von Verfassung wegen umfassend zu reformieren. Der Glücksspielstaatsvertrag hat mit dem Glücksspielkollegium ein verfassungswidriges Gremium geschaffen, das die maßgeblichen Entscheidungen trifft. Das Glücksspielkollegium erlässt verbindliche Beschlüsse in grundrechtssensiblen Bereichen mit weiten Entscheidungsräumen. Dann aber verlangt das Demokratieprinzip auch von einer länderübergreifenden Kooperation eine kraftvolle Aufsicht, die so gegenwärtig nicht besteht. Ausnahmen von dieser Vorgabe wie im Bereich des Rundfunkrechts oder bei der Vergabe von Studienplätzen greifen nicht. Der Gesetzgeber hat sich, als er das Kollegium geschaffen hat, an den Institutionen des Rundfunkrechts orientiert – und damit in die falsche Schublade gegriffen. Das Kollegium verletzt das Demokratieprinzip.
Auch grundrechtlich wurde ein wahrscheinlich einzigartiges, aber höchst zweifelhaftes Regelungskonzept etabliert. Das Glücksspielrecht greift tief in die Berufsfreiheit ein, wenn es nicht – wie in anderen Rechtsbereichen – einen Anspruch auf Berufszulassung unter bestimmten Voraussetzungen vorsieht, sondern Monopole, absolute Verbote oder Verbote mit Erlaubnisvorbehalt regelt. Die öffentliche Hand entscheidet über eine glücksspielrechtliche Berufszulassung regelmäßig in Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe und mit erheblichem Ermessen. Diese Regelungsstruktur ist grundrechtlich kaum zu rechtfertigen.
So ist – drittens – auch das weitgehende Verbot des Online-Glücksspiels zu hinterfragen. Ein Verbot untersagt ein Verhalten. Weiter reicht die Regulierung dann regelmäßig nicht. Das Verbot für Online-Glücksspiele wird nicht selten mit dem Einwand gerechtfertigt, das Internet sei kaum zu regulieren. Ein aktuelles Gegenbeispiel bietet aber – bei aller berechtigten Kritik – die Datenschutzgrundverordnung. Ein Unternehmen wie Facebook, das nach seinem Geschäftsmodell nicht auf den Datenschutz setzt, kündigt öffentlich an, nun die hohen Datenschutzstandards einhalten zu wollen. Zwar mag man bezweifeln, dass diese Ankündigung vollständig umgesetzt wird. Die maßgebliche Motivation aber betrifft die Lebensader zahlreicher Unternehmen und verweist auf den zentralen Hebel der Regulierung des Internets: die Akzeptanz bei den Kunden. Auch das Online-Glücksspiel lässt sich regulieren. Der maßgebliche Jugend- und Spielerschutz und der Kampf gegen die Kriminalität sind durch ein Verbot jedenfalls kaum zu verbessern. Grundlegend ist zudem zu fragen, ob das Spielen im Internet derart zu missbilligen ist, dass sich ein Verbot rechtfertigen lässt.
Die zentralen Aufträge des Glücksspielrechts sind der Jugend- und Spielerschutz und die Kriminalitätsbekämpfung. Sachgerecht werden diese Ziele in einer Differenzierung nach einzelnen Glücksspielarten verfolgt. Diese glücksspielrechtlichen Prämissen sind aber in neuen und einfacheren Regelungsstrukturen umzusetzen. Eine grundlegende Reform des Glücksspielrechts ist rechtlich, aber auch politisch notwendig. Die Länder werden für “minimalinvasive Eingriffe” kaum den notwendigen Konsens erzielen. Der große Wurf ist weiterhin möglich – vor allem aber ist er notwendig.
Prof. Dr. Gregor Kirchhof, LL.M., ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Finanzrecht und Steuerrecht und Direktor des Instituts für Wirtschafts- und Steuerrecht an der Universität Augsburg.