Von Sven Rudolf
Professor Tomoaki Kurishima, Universität Saitama, Japan gab am 14.07. in der Forschungswerkstatt des Instituts für Glückspiel und Gesellschaft (GLÜG), Bochum, einen Überblick über das Glückspiel und seine Regulierungen in Japan. Besonders in den Fokus rückte er dabei das offiziell nicht als Glückspiel zählende Pachinko, welches jedoch bei weitem den größten Umsatz unter den Vorgestellten „Glückspielen“ in Japan erzielt. Zweck der Veranstaltung war der wissenschaftliche Austausch auf internationaler Ebene, um unteranderem ein tieferes Verständnis für den Einfluss kultureller Rahmensetzung auf den Umgang mit dem Phänomen Glückspiel, zu gewinnen, sagte Prof. Krüper, Ruhr-Universität Bochum.
Glückspiel in Japan
Zu Beginn steht jedoch eine kurze Erläuterung welche Arten von Glückspiel in Japan überhaupt existieren. Dabei gibt es für Kurishima fünf unterschiedliche Bereiche, von denen zwei legales staatliches Glückspiel behandeln. Einmal die Rennwetten, bei denen besonders die Wetten auf Pferderennen beliebt sind und die Lotterien, bei denen zwischen Sportlotterie und Lotterie unterschieden wird. Das illegale Glückspiel ist ebenfalls in zwei Kategorien zu unterteilen. Ein wichtiger Unterschied zum deutschen Glückspielmarkt ist, das herkömmliche Kasinos nicht zu den legalen Glückspielarten gehören. Ähnlich wie in Deutschland findet sich hier die Trennung zwischen dem illegalen Glückspiel (Hinterzimmer-Kasinos und Wetten ohne offizielle Erlaubnis), welches in Japan nur sehr selten vorkommt und dem illegalen Online-Glückspiel, das besonders während der Corona Krise einen stärkeren Zuwachs erhielt. Zuletzt wäre da das Pachinko, das weder zum staatlich regulierten noch zum illegalen Glückspiel dazugehört.
An dieser Stelle sei kurz erklärt, worum es sich bei Pachinko überhaupt handelt, da außerhalb von Japan das Spiel nur wenig verbreitet ist. Der beste Vergleich auf dem westlichen Markt ist wohl, ein Flipper, dessen Spielfläche senkrecht verläuft. Der große Unterschied besteht zum einen in der Anzahl der im Spiel befindlichen Bälle und darin, dass dem Spielenden nicht die Möglichkeit gegeben ist diese möglichst lange im Spiel zu behalten. Im Gegenteil, es ist sogar das Ziel die Bälle in bestimmten Löchern auf dem Spielfeld zu versenken. Dadurch werden dann Punkte gewonnen, die beim Pachinko die Form von weiteren Kugeln annehmen. Gewinnen heißt also mit mehr Kugeln zu enden als man Eingangs gekauft hatte, um diese gegen Preise einzutauschen. Ob und wie viel Geschick, beim Versenken der Kugeln an den richtigen Stellen, eine Rolle spielt, ist für einen Laien schwer zu beurteilen, auch wenn der Spieler die Geschwindigkeit, mit der eine Kugel auf die Spielfläche geschossen wird, beeinflussen kann. Da es professionelle Pachinko Spieler gibt, scheint doch ein gewisses Level an Geschick und Spielkenntnis eine Rolle zu spielen. Generell erfreuen sich die lauten und bunten Maschinen einer sehr großen Beliebtheit, die sich auch in den Umsätzen der Spielhallen widerspiegelt.
Japanisches Glückspiel in Zahlen
Der offizielle Glückspielmarkt in Japan setzte dabei etwa 7,75 Bio. Yen (= ca. 56 Mrd. Euro) im letzten Jahr an Bruttobeträgen um. Pachinko allein erzielte hingegen 14,6 Bio. Yen, also fast das doppelte. Ein Ergebnis, dass nicht verwundert, wenn man berücksichtigt, dass 7279 Pachinko-Spielhallen mit 230.000 Beschäftigten existieren. Zum Vergleich gibt es nur 27 Pferderennbahnen und 6348 Hamburgershops im gesamten Land. Es ist also klar zu erkennen, dass der Pachinko Markt um einiges Stärker ist als der offizielle Glückspielmarkt. Dieser Aspekt zeigt sich auch bei anderen Statistiken zum Glückspiel. So zum Beispiel bei einer Betrachtung der jährlichen Verluste durch Glückspiel in verschiedenen Ländern, wo Japan offiziell mit knappen 30 Mrd. Dollar auf dem dritten Platz liegt und das mit einem deutlichen Abstand zum zweitplatzierten China, wo etwa die dreifache Menge, 90 Milliarden Dollar, verloren wurden. Die Verluste im Pachinko werden in dieser Statistik allerdings nicht berücksichtigt. Würden sie berücksichtigt, würde das die Platzierungen noch einmal durcheinanderwerfen, da es noch einmal 90-100 Mrd. Dollar zu den japanischen Verlusten hinzufügen würde, so Kurishima. Dadurch würde Japan mit Abstand auf den zweiten Platz rutschen. Kurishima stellte dazu fest, „wenn berücksichtigt würde das in China und den USA (Macau, Las Vegas) auch viele Touristen einkehren und spielen, würde Japan mit den Pachinko Verlusten auf dem ersten Platz landen.“ Pachinko zählt aber offiziell nun einmal nicht zum Glückspiel.
Die Rechtlichen Bedingungen
Durch die Regulierung des japanischen Glückspiels wird die Sonderrolle des Pachinkos etwas deutlicher. Dabei sind vor allem zwei Begriffe von Bedeutung Gyamburu (ギャンブル) welches vom Wort „gambling“ hergeleitet wird und unter dem man das allgemeine Spiel um Geld versteht bei dem Gewinn und Verlust vom Zufall abhängig sind. Tobaku (賭博) ist an sich gleichbedeutend mit Gyamburu ist aber im japanischen Strafgesetz verboten. Generell werden einzelne Verstöße gegen die Teilnahme am Glückspiel nur selten verhandelt, auch wenn sie rechtlich strafbar sind, da hier Richtern und Staatsanwälten viel Ermessensspielraum gegeben wird. Anders sieht es bei dem in § 186 jStGB festgelegten Strafmaßen für gewohnheitsmäßiges Glückspiel und die Eröffnung einer Glückspielstätte aus. Ausgenommen von diesem Verbot sind jedoch vom Staat oder öffentlich-rechtlichen Unternehmen betriebene Glückspielstätten, was rechtlich kein Problem darzustellen scheint. Pachinkohallen zählen offiziell zu den Unterhaltungsbetrieben und unterliegen somit nicht den Paragrafen zum Glückspiel im Strafgesetzbuch.
Ein zweiter wichtiger Faktor für den Sonderstatus des Pachinko findet sich in der zugeteilten Aufsichtsbehörde und dem Beamtensystem Japans. Jede der offiziell erlaubten Glückspielarten unterliegt der Aufsicht durch eine Behörde, die regulierende Funktionen übernimmt. Im Falle der Pferderennen ist dies beispielsweise das Agrarministerium. Beim Pachinko erfüllt die Aufsichtsfunktion hingegen die Polizei, die darauf achtet, dass alle Vorgaben von den Pachinkohallen Betreibern eingehalten werden. Dazu zählt zum einen die Überprüfung der Gewerbeerlaubnis sowie die Überprüfung der Spielautomaten auf die Erfüllung von Standards. Zum anderen achten sie darauf, dass kein Geld oder Wertpapiere als Preis oder der Rückkauf von gewonnen Preisen in den Hallen angeboten wird. Dieser Aspekt, ist auch aus einem anderen Grund wichtig, der mit dem Sonderstatus des Pachinko zusammenhängt. Die Verknüpfungen der Polizei und der Pachinko-Branche geht jedoch noch tiefer und könnte, so Kurishima, einen Einfluss auf Arbeit der Polizei in diesem Bereich haben. Durch den pyramidenförmigen Aufbau der Beamtenhierarchie und den Aufstieg durch das Senioritätsprinzip stehen ab einem gewissen Level nicht mehr genügend Posten zur Vergabe zur Verfügung, weshalb Beamte ab einem gewissen Alter ihre Ministerien verlassen müssen. Zu diesem Zeitpunkt wechseln sie in die Privatwirtschaft oder treten einem Berufsverband bei. Die Unternehmen einer verwandten Branche übernehmen die Beamten dabei gerne, um gute Beziehungen zu den Ministerien/Behörden zu pflegen. Die Pachinko Industrie und ihre Berufsverbände sind dabei mit ehemaligen Polizisten besetzt.
Die Pachinko Industrie hat also enge Verbindungen zur Polizei welche als Aufsichtsbehörde fungiert. Doch wieso zählt Pachinko nicht als Glückspiel? Die Antwort liegt mehr oder weniger in den Gewinnen der Pachinkohallen. Wie bereits erwähnt ist diesen nicht erlaubt, Geld oder Wertpapiere als Gewinn auszuschütten. Stattdessen können in den Pachinkohallen Snacks, Zigaretten oder andere Dinge die als „allgemeine Preise“ bezeichnet werden gewonnen werden. Eine Besonderheit stellen in diesem Preissystem kleine Feingoldbarren dar, denn diese werden oft in sogenannten „Austauschbuden“ (keihin-kôkanjo) gegen Bargeld abgekauft was nicht gegen die genannte Regel zum Rückkauf der Preise verstößt, solange keine Verbindung zwischen Pachinkohallen und den Läden besteht. Über weitere Zwischenfirmen wandern die Barren jedoch neuverpackt wieder zurück zu den Spielhallen.Technisch gesehen ist der Umtausch von Belohnungen gegen Geld also möglich, wenn auch nicht in der Pachinkohalle selbst. Dennoch ist aus Sicht der Regierung alles rechtmäßig. Die Pachinko Industrie zahlt etwa 90 Mrd. Yen an Unternehmenssteuer, was etwa 0,1 Prozent des Staatsbudget ausmacht. Prof. Kurishima sieht im Pachinko die Tatbestandsmerkmale für Tobaku als erfüllt an, auch wenn dieser Punkt als umstritten gilt, offiziell wird aber die Einhaltung der Vorschriften des Unterhaltungsbetriebgesetzes als ausreichende Regulierung für den Weiterbetrieb gesehen. Doch auch die Einhaltung des UnterhBetrG ist nicht immer gegeben was zu einem Entzug der Betriebserlaubnis führen kann. Einen offiziellen Richterentscheid über den Status des Pachinko als Glückspiel gibt es bislang nicht, weshalb Pachinko weiterhin in dieser Grauzone existieren kann.
Kürzliche Schutzmaßnahmen und Ausblick
Lange Zeit war die Spielsucht und der Spielerschutz in Japan kein großes politisches Thema. Ein Tatbestand, der sich erst mit dem Erlass des IR-Gesetz zur Etablierung von Integrated Resorts und darin befindlichen Kasinos von 2016 änderte. Dieses Gesetz sorgte dafür, dass die Problematik in der Öffentlichkeit stark diskutiert wurde. Die Regierung erließ deshalb noch im selben Jahr das vorsah zukünftig in Suchpräventionsmaßnahmen zu investieren. Zuvor war Glückspiel und die damit verbundene Spielsucht für die meisten Leute eher ein privates Thema. So sagten zu Beginn des Jahrtausends noch knapp 65 Prozent der Japaner, dass sie Glückspiel nicht mögen oder hassen, aber nicht einmal 15 Prozent sprachen sich für Regulierungen aus, wenn es darum ging, dass andere zockten. Laut Kurishima besteht dabei bei knapp 2,2 Prozent der Erwachsenen Menschen in Japan ein Verdacht auf Spielsucht. Im Jahr 2018 veröffentlichte die Regierung dann das Basisgesetz zur Bekämpfung der Glückspielsucht was einen ersten Schritt hin zur Bekämpfung des Spielsuchtproblems darstellt. Zu den seitdem etablierten Maßnahmen zählen Aufklärungsarbeit unter anderem an Schulen, Forschungsförderung, die Errichtung von Beratungszentren, die Entwicklung von Selfcheck-Tools und die Unterstützung von privaten Organisationen, die sich mit dem Suchtproblem befassen. Allerdings gibt es noch keine Sperrlisten und eine damit verbundene Identifizierung der Kunden, die aktiv in das Suchtverhalten eingreifen würden, wie es in Deutschland existiert. Ob das Suchthilfesystem in den kommenden Jahren noch ausgebaut wird, ist allerdings noch unsicher und wird sich erst zeigen müssen. Daneben wird außer der Umsetzung von IR-Casinos auch das Online-Glückspiel in den kommenden Jahren wohl mehr in den Fokus rücken da es, während der Covid Krise erheblichen Zuwachs erhielt.