Bonn (sr). In einer digitalen Forschungswerkstatt des Instituts für Glücksspiel und Gesellschaft (GLÜG), Ruhr Universität Bochum, referierten Prof. Dr. Georg Juckel und Dr. Dae-In Chang, vom Lanschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL)-Universitätsklinikum Bochum über den natürlichen Spieldrang des Menschen. Wo er herkommt, warum er gesund ist und wann das Spielen zum Problem wird.
Zunächst erläuterte Prof. Dr. Juckel die generelle Konnotation, die mit dem Spiel teilweise seit der Antike verbunden ist und welchen Zweck es für die Gesellschaft seit jeher erfüllt. Mit dem Spiel war immer eine Zügelung von Aggressionen verbunden, man denke da an die Olympischen Spiele, während denen in der Antike eine Kriegspause eingelegt wurde. Das Spiel war und ist also für die Regulierung der zwischenmenschlichen Aggressionen und gesellschaftlicher Konflikte von Bedeutung.
Gleichzeitig ist das Spiel schon immer ein Mittel zur Simulation und zum Ausprobieren gewesen. Ein deutlicher Beweis dafür ist die Themenvielfalt, in der es Spiele gibt, (Brettspiele, Kampf- u. Bewegungsspiele, Denkspiele (Rätsel), Sprachspiele (Wittgenstein), Kinderspiele (Lernen), Rollenspiele, Schau- o. Theaterspiele, Musikinstrumentenspiel, Zirkusspiele, Glückspiele…). Für fast alle Bereiche des Lebens gibt es Spiele. Die Leichtigkeit des Spiels kann aber auch schnell kippen, wenn Geld, Leben oder ähnliches zum Einsatz kommt.
Juckel erklärt weiter, dass Spielverhalten evolutionär bedingt und selten rational ist, sondern abhängig ist von kulturellen/genetischen Evolutionsprozessen. Dieser natürliche Spieltrieb des Menschen ist dabei gesund und hilft beim Spannungsabbau und wie bereits erwähnt bei der Regulierung zwischenmenschlicher Konflikte. Wann aber ist der Punkt erreicht, an dem wir vom gesunden Spiel ins ungesunde oder sogar krankhafte Spielen übergehen? Sucht wird es dann, wenn es nicht mehr unterlassen werden kann.
Eine vergleichsweise neue Verhaltenssucht ist für Suchtforscher die Gaming Disorder, die auch mit einer Gambling Disorder einhergehen kann. Dr. Chang erläuterte im weiteren Verlauf der Veranstaltung, wie eine Gaming Disorder diagnostiziert wird und wie Gaming Disorder mit Gambling Disorder zusammenhängt.
Zunächst gab er jedoch noch einmal einige Kennzahlen zum Gaming, denn die damit verbundene Industrie ist riesig. Der globale Gamingmarkt machte im Jahr 2020 einen Umsatz von 159,3 Milliarden USD und es wird davon ausgegangen, dass es bis 2023 über drei Milliarden „Gamer“ in der Welt geben wird. Gerade während der Lockdown-Phasen brachten Videospiele auch positive Effekte mit sich. Zu diesen Effekten gehören der Abbau und die Unterbindung von Stress, Ängsten, Depressionen und der Einsamkeit. Für gefährdete Individuen brachte diese Zeit aber auch ein erhöhtes Risiko, eine Gaming Disorder zu entwickeln. Mittlerweile ist die Gaming Disorder als zweite nicht substanzielle Abhängigkeitserkrankung in den Katalog der International Classification of Diseases (ICD) aufgenommen worden.
Die Diagnose derselben könnte ab nächstem Jahr nach der elften Auflage ICD (ICD-11) erfolgen. Nach diesen gibt es drei wichtige Kriterien, die für eine Diagnose entscheidend sind:
- Beeinträchtigte Kontrolle über Beginn, Häufigkeit, Intensität, Dauer, Beendigung und Kontext des Spielens.
- Zunehmende Priorität für das Spielen in einem Maße, dass das Spielen Vorrang vor anderen Lebensinteressen und täglichen Aktivitäten gewinnt.
- Fortsetzung des Spielens trotz des Auftretens von negativen Folgen.
Wenn diese Kriterien innerhalb eines Zeitraumes von zwölf Monaten auftreten, ist eine Gaming Disorder zu diagnostizieren. Bei der Behandlung kommen dann ambulante Psychotherapie und Psychoeducation zur Anwendung.
Durch die Integration von Mikrotransaktionen entsteht dann schnell die Gefahr einer Glücksspielsucht. Besonders Lootboxen machen diese Spiele attraktiv für Personen, die Glücksspielsucht gefährdet sind. Dr. Chang erläuterte, dass Lootboxen und Gambling für sich gegenseitig als Einstiegstor fungieren, wie mehrere Studien belegt haben. Dort gaben etwa 20 Prozent der Befragten, die beide Phänomene nutzten, an, dass sie sogenannte „gateway effects“ aus je einer der beiden Richtungen erlebt hatten.
Am Beispiel des Multiplayer Online Battle Arena (MOBA) Games Heroes of the Storm, zeigte Dr. Chang den Effekt auf. Aus dem Spiel wurden die Lootboxen entfernt, aber nicht der „ingame shop“. Die Folge war, dass Glücksspieler sehr viel weniger Geld in das Spiel steckten als zuvor. Für problematisches Verhalten bzgl. Lootboxen ist dabei auch noch keine generalisierte Behandlung entwickelt worden. Verhaltenstherapien zum Thema sollten Selbstüberwachung und -reflektion beinhalten.
Zum Schluss verdeutlichte Chang noch einmal, dass es bei den Forschungen zu Gaming Disorder nicht darum geht, gesundes spielen zu pathologisieren, sondern, dass sich Forschungsinhalte auf exzessives und problematisches Verhalten fokussiert. Bei diesen Fällen handele es sich nur um einen kleinen Teil und die Gaming-Aktivität wird von Millionen Menschen ohne Probleme betrieben.
Beitragsbild: ©Indivisible Gaming