Gastkommentar
(Knut Walter) Um es direkt vorweg zu nehmen, dieser Kommentar ist ein rein persönlicher und vor dem Hintergrund von zehn Jahren teilnehmender Beobachtung der Wissenschaftsdiskussion rund um die deutsche und europäische Glücksspielregulierung entstanden.
Nach dieser Zeitspanne meint man, von keiner Diskussionswendung oder juristischen Entscheidung mehr überrascht werden zu können. Dem Bundesverwaltungsgericht ist dies mit seinem bisher nur als Pressemitteilung1 bekannten Urteil zur Rechtmäßigkeit von Internetverboten für Glücksspiele nun doch gelungen. Nicht, weil man den Eindruck hat, alle bisherigen glücksspielrechtlichen Verfahren inklusive demjenigen des Bundesverfassungsgerichts von 2006 und aller Entscheidungen des EuGHs seitdem hätten nie stattgefunden. Auch nicht, weil der juristische Laie bisher annahm, dass nur der Europäische Gerichtshof berufen sei, Unionrechtskonformität zu bescheinigen. Und ebenfalls nicht, weil man erwarten könnte, dass Beschwerdeführer inzwischen verstanden haben müssten, dass mangelnde Rechtssicherheit durch untaugliche Regulierungsversuche des Gesetzgebers nicht über den Umweg höchstrichterlicher Entscheidungen zu beheben ist. Über all diese Punkte mögen juristische Fachexperten in den einschlägigen Publikationen intensiv debattieren.
Was diesem Text seine Initialzündung gegeben hat, ist die Formulierung in der Pressemitteilung des BVerwG, dass die Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit „wegen der besonderen Gefährlichkeit des Glücksspiels im Internet gegenüber dem herkömmlichen Glücksspiel“ (u. a. unbeschränkte Verfügbarkeit des Angebots, Bequemlichkeit, fehlender Jugendschutz) gerechtfertigt sei. Dies haben sowohl der EuGH als auch das BVerwG bereits fest-gestellt. Auch hier gibt es eine juristische Komponente, die an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden soll. Denn zumindest für den EuGH kann man das so kaum behaupten.
Was vielmehr erstaunt, ist das lapidar apodiktische Postulat von suchtwissenschaftlicher Evidenz – Internetglücksspiel sei gefährlicher als stationäres Glücksspiel – die so schlicht nicht existiert oder, noch schlimmer, schon seit Langem mehrfach empirisch widerlegt wurde. Und so muss man sich fragen, auf welcher Informationsbasis Entscheidungen getroffen werden, die tief in individuelle Grundrechte eingreifen und diese einschränken. Für die Ent-scheidung des BVerwG wird man dies erst gesichert beantworten können, wenn die ausführliche Urteilsbegründung vorliegt. Schon jetzt muss man aber nur auf der Basis des zitierten Halbsatzes davon ausgehen, dass wissenschaftliche Evidenz weitgehend abwesend war.
Mit diesem Befund ist das BVerwG allerdings nicht allein, sondern in sehr guter Gesellschaft; zunächst einmal in der eigenen. Denn auch im Urteil BVerwG 8 C 6.15 vom 16.12.2016 – hier zur Rechtmäßigkeit landesrechtlicher Einschränkungen für Spielhallen in Berlin und Rheinland-Pfalz – findet eine gesonderte Evidenzprüfung nicht statt. Urteilsgrundlage sind drei Landtags- bzw. Bundestags-Drucksachen2 und die dazugehörigen Expertenanhörungen.
Knut Walter, Diplom-Kommunikationswirt, studierte Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste, Berlin. Neben seiner mehr als 10-jährigen Tätigkeit als Universitätsdozent für empirische Kommunikationsforschung baute er seine eigene Strategieberatung‚ Scientific Affairs, auf. Seit 1998 berät er internationale Unternehmen auch der Glücksspielindustrie bei der Nutzung von Wissenschaftskooperationen. Knut Walter ist zudem Sprecher des Düsseldorfer Kreises – Initiative für Qualität und Verbraucherschutz im Glücksspielwesen.
Dieser Beitrag erschien in voller Länge in der Fachzeitschrift „Beiträge zum Glücksspielwesen“ Ausgabe 4/2017. Diese kann hier im Jahresabo oder einzeln bestellt werden