Verhindert oder ermöglicht Regulierung Freiheit und Verantwortung?
(Dr. Bertold Höcker) Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gründet in einer Sicht auf den Menschen, die durch das Christentum geprägt ist. Ich möchte dieses Menschenbild, das durch seine Konkretion im Gesetz unser Zusammenleben regelt, in Hinsicht auf die Beziehung von Freiheit und Verantwortung hin entfalten, um damit einen Beitrag zur Diskussion um die Frage der Regulierung von Glücksspiel zu leisten. Denn hinter dieser Frage steht die Auseinandersetzung darüber, wieviel Verantwortung der Einzelne für seine Handlungen trägt.
Das Christentum und unser Grundgesetz beschreiben den Menschen als frei geboren und unabhängig von Herkunft, Rasse, Geschlecht etc. mit gleichen Rechten ausgestattet, die es zu schützen gilt. Seinen zusammenfassenden Sinn findet dieses im Ausdruck der Präambel des Grundgesetzes, dass die Würde des Menschen unantastbar sei. Die Bibel verdeutlicht das unter anderem im Neuen Testament und betont da-rüber hinaus die Freiheit des Individuums. Die herausragende Stelle ist dabei ein Abschnitt aus dem Galaterbrief im 5. Kapitel: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen.“
Allerdings bleibt dabei zu fragen, ob der Mensch überhaupt freie Entscheidungen treffen kann oder nur das Produkt seiner Umwelt darstellt, das dann bewusst oder unbewusst alles bestimmt. Denn die Hirnforschung zeigte schon in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts durch Versuche von Benjamin Libet, dass schon vor der bewussten Willensentscheidung Signale im Gehirn erzeugt werden, die anzeigen, dass sich diese Entscheidung aus vorangegangenen Hirnzuständen ergibt. Immer deutlicher erkennt darum die Wissenschaft in diesem Bereich, aktuell vor allem durch Untersuchungen des deutsch-britischen Hirnforschers John-Dylan Haynes, dass auch unser Denken nach biologischen und physikalischen Gesetzmäßigkeiten funktioniert.
Wir können daher davon ausgehen, dass ein Mensch sich im Rahmen der naturwissenschaftlich erkannten Gesetzmäßigkeiten frei verhalten kann. Ansonsten könnten seine Handlungen nicht bewertet und Verantwortlichkeiten nicht festgelegt werden. Kann er sich frei verhalten, trägt er auch die Verantwortung für seine Entscheidungen im Rahmen seines Ermessensspielraums der Verhaltensalternativen.
Um allerdings einer Person freie Entscheidungen zu ermöglichen, müssen Folgen von Entscheidungen klargestellt und die Rahmenbedingungen derselben deutlich sein. Sind sie es nicht, wird jeder Mensch überfordert, die Folgen seiner Entscheidungen abzuschätzen und die Rahmenbedingungen seiner Entscheidung präzise zu kennen. Er muss das jedoch wissen, um auch seine Verantwortung für seine Entscheidung tatsächlich wahrnehmen zu können. Insofern ist es gesellschaftliche Aufgabe, die benötigten Informationen und Rahmenbedingungen klar bereitzustellen. Unterlässt eine Gesellschaft dieses und betont einen Freiheitsrahmen menschlicher Entscheidungen, der auch noch detailliert die Informationsbeschaffung seinem Verantwortungsbereich zuordnet, führt dieses letztlich zu mangelnder Verantwortungsübernahme für die ausgeführten Handlungen. Umgekehrt gilt auch, dass eine stärkere Bereitstellung klarer Rahmenbedingungen und Informationen eine umso deutlichere Verantwortung des oder der Einzelnen zur Folge haben muss.
Dr. Bertold Höcker ist Theologe und Psychologe. Er ist Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Berlin Stadtmitte.
Dieser Beitrag erschien in voller Länge in der Fachzeitschrift „Beiträge zum Glücksspielwesen“ Ausgabe 4/2017. Diese kann hier im Jahresabo oder einzeln bestellt werden