OVG Hamburg bestätigt Hamburger Regelung zum Vorrang älterer Bestandsspielstätten
Von Georg Lütter
Seit Ablauf der Übergangsfrist am 30. Juni 2017 sind Verwaltung und Gerichte mit der Lösung der Konflikte befasst, die aus der vom Glückspielstaatsvertrag (GlüStV) geforderten Beschränkung auf eine Spielhalle je Spielhallenstandort resultieren (Verbot von Mehrfachkonzessionen). In Hamburg muss zwischen den Spielhallen ein Mindestabstand von 500 m (in besonderen Stadtgebieten nur 100m) eingehalten werden. Unterschreiten mehrere Bestandsbetriebsstätten diesen Mindestabstand zueinander, muss zugunsten eines Betriebs über die Weiterbetriebserlaubnis entschieden werden.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 7. März 2017 die Anforderung an den Gesetzesvorbehalt für die Auswahlentscheidung minimiert und den Verwaltungen einen erstaunlich großen Entscheidungsspielraum zugestanden: „Der Gesetzgeber kann die Bewältigung der vielgestaltigen Auswahlkonstellation den zuständigen Behörden überlassen, da eine ausdrückliche gesetzliche Regelung soweit ersichtlich nur ein geringes Mehr an Bestimmtheit und Rechtsklarheit schaffen könnte. Auch soweit etwa in Innenstädten oder Stadtteilzentren aufgrund der dort bestehenden Gemengelage eine Vielzahl von Konkurrenzsituationen aufgelöst werden muss, erfordert der Vorbehalt des Gesetzes daher jedenfalls derzeit keine ausdrückliche gesetzgeberische Festlegung (…)“ (Rn 185 des Urteils). Diese Ausführungen haben bei den Staatsrechtlern, aber auch bei den ohne weitere Vorgaben über die Auswahl entscheidenden Verwaltungen nur wenig Freude ausgelöst.
Die Hamburger Bürgerschaft hatte jedoch bereits 2012 eine Gesetz verabschiedet, mit dessen Hilfe die Verwaltung auch „vielgestaltigen Auswahlkonstellationen“ auf einfache Weise Rechnung tragen sollte: einziges Entscheidungskriterium ist das Alter der Spielstätte, hilfsweise ist der Zeitpunkt der (früheren) Gewerbeanmeldung maßgeblich (§ 9 Abs. 4 HmbSpielhG). Mit dieser ausschließlich auf die Anciennität abstellenden Regelung verband sich die Hoffnung, die zu erwartende Flut der Anträge auf Weiterbetriebserlaubnis einfach, unter Vermeidung komplexer Abwägungen und daher weniger streitanfällig, erledigen zu können. Die 17. Kammer des VG Hamburg hatte diese Hoffnung in mehreren gleichlautenden Entscheidungen zum einstweiligen Rechtsschutz gegen die Versagung der Erlaubnis zum Weiterbetrieb zunächst zunichte gemacht. Die Kammer erklärte (im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zulässigerweise) § 9 Abs. 4 HmbSpielhG für verfassungswidrig. Sie verstieg sich in Formulierungen, die den grundrechtlich gebotenen Bestandsschutz von Spielhallen nicht nur generell infrage stellten, sondern darüber hinaus in der Anciennität einer Spielstätte einen rechtlichen Makel ausmachten: das Alter der Spielstätte sei nicht nur kein sachgerechtes Kriterium, die Hamburger Regelung „prämiere“ auch noch die Dauer „sozialschädlichen Verhaltens“.
Das OVG Hamburg hat nun auf Beschwerde gegen die Beschlüsse des VG in mehreren ebenfalls gleichlautenden Entscheidungen (u.a. vom 2. Juli 2018, AZ: 4 Bs 50/18) die Argumentation der 17. Kammer analysiert und ohne Rückstand aufgelöst. Es stellt klar, dass § 9 Abs. 4 HmbSpielhG verfassungskonform und die Reduktion komplexer Sachverhalte auf ein maßgebliches Kriterium im Rahmen des Auswahlverfahrens zum Weiterbetrieb sachgerecht ist.
Das OVG weist zurecht darauf hin, dass die Übergangsregelungen des GlüStV (und der entsprechenden Ländergesetze) voraussetzen, dass dem Spannungsfeld zwischen dem baldmöglichen Erreichen der Ziele des Jugend- und Spielerschutzes einerseits und dem durch Art. 12 und Art. 14 GG geschützten (und vom BVerfG bestätigten) Bestandsinteresse der Spielstätten andererseits Rechnung getragen werden muss. Die Härtefallregelungen zeigten im Übrigen, dass auch nach Ablauf der Übergangsfrist der Vertrauensschutz keineswegs „verbraucht“ sei.
Das OVG setzt sich intensiv mit den Gründen für und gegen eine Beschränkung auf das Anciennitätsprinzip auseinander. Es bejaht die Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 9 Abs. 4 HmbSpielhG mit überzeugenden Gründen. Der Kern seiner Argumentation besteht in der Überlegung, dass sämtliche normativen Vorgaben zur Bekämpfung/ Vermeidung von Spielsucht, zum Spielerschutz, zur Anzahl der Spielgeräte etc. von allen Konkurrenten des Auswahlverfahrens erfüllt werden. Andernfalls wäre der Weiterbetrieb schon aus Gründen der Nichterfüllung von Mindeststandards zu untersagen. Die Forderung einer überobligatorischen Erfüllung gesetzlicher Anforderungen könne aus dem Gesetz schon grundsätzlich nicht abgeleitet werden. Zudem würden Bestandskonkurrenten durch eine derartige Forderung schlechter gestellt als Neuantragssteller oder Betriebe, die zufällig das Abstandsgebot einhalten. Das OVG schließt hieraus, dass im Hinblick auf die (vorausgesetzte) Einhaltung der komplexen gesetzlichen Vorgaben sämtliche Bestandskonkurrenten gleich zu behandeln seien. Das Absehen von den Details der Gesetzeserfüllung sei geboten und sachgerecht. Darüber hinaus ermögliche das alleinige Kriterium des Alters, dass alle Beteiligten (ungeachtet von Streitigkeiten im Einzelfall) das Ergebnis des Auswahlverfahrens auf einfache Weise vorhersehen und objektiv beurteilen können. Die Hamburger Regelung ermögliche eine rechtssichere und auch bei schwierigen Konkurrenzsituationen zeitnahe und anwendungssichere Auswahlentscheidung. Mit einem Wort: die Reduktion komplexer Situationen auf ein Kriterium sei angemessen und damit keineswegs „unterkomplex“ (so aber das VG).
Nur kurz sei erwähnt, dass das OVG die (auch im Hinblick auf die Aufstellung aller Spielhallenstandorte in Hamburg aufschlussreiche) sog. „Haufler-Liste“ (Bü-Drs. 20/3423; 20/9316) zur Rate zog. Diese Liste gibt auch Aufschluss darüber, dass in Hamburg (entgegen der Ansicht VG) Spielstätten existieren, die von Einzelkaufleuten betrieben werden. Dadurch sah das OVG die Gesetzesbegründung bestätigt, nach der die gesetzliche Anknüpfung an das Alter der Spielstätte statt an das Alter der Erlaubnis das Ziel verfolgt, eine Benachteiligung sog. Familienbetriebe (mit jeweils erneuerten personenbezogenen Erlaubnissen) gegenüber juristischen Personen zu vermeiden.
Das VG hat über die Klagen in der Hauptsache m.W. noch nicht entschieden. Es steht vor der Wahl, die Argumentation des OVG zu übernehmen, oder das BVerfG im Wege der Vorlage mit der Entscheidung über die Hamburger Regelung zu befassen. Mich hat das OVG davon überzeugt, dass die Abwägung komplexer Details der Gesetzeserfüllung mit dem Ziel einer „Bestenauslese“ nicht der richtige Weg für Auswahlentscheidungen unter Bestandsbetrieben sein kann. Das BVerfG deutete in seiner o.g. Entscheidung die Möglichkeit des Gesetzgebers an, einen „Fixpunkt“ für die Auswahlentscheidung vorzugeben. Dies könnte darauf hindeuten, dass die Hamburger Regelung auch vor dem BVerfG Bestand haben würde, auch wenn ein „Fixpunkt“ nicht zwangsläufig weitere Entscheidungskriterien ausschließt.
Georg Lütter ist Ministerialrat im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz a.D.