Redemanuskript für die Fachtagung “Regulierungsbehörde Glücksspiel”, die am 15. Oktober 2018 in der Landesvertretung von Nordrhein-Westfalen beim Bund in Berlin stattfand
von Prof. Dr. Thomas Dünchheim
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich freue mich sehr über die Gelegenheit, hier in der Vertretung des Landes Nordrhein- Westfalen sprechen zu dürfen zum Thema mit dem unfassbar sperrigen Titel: “Verfassungs- und europarechtliche Grundlagen für die kohärente Regulierung von Glücksspielmärkten mit Lottoveranstaltungsmonopol” Das Glücksspielrecht in Deutschland ist inzwischen ein vielstimmiges Konzert der Juristen, bei dem sich vor allem einige Verirrte und Verwirrte besonders lautstark meinen zu Wort melden zu müssen – gerade derzeit, wenn es um die Zukunft des Lottomonopols geht. Ich möchte daher, um unmissverständlich für Klarheit zu sorgen, gleich zu Beginn meines Vortrags das Ergebnis vorstellen: Das Lotterieveranstaltungsmonopol in Deutschland ist im Kern rechtssicher und verfassungsrechtlich wie europarechtlich zulässig! Wieso das so ist, werde ich Ihnen im Laufe meines Vortrags näher erläutern.
Das, was früher die Sportwettregulierung inklusive des krachend gescheiterten Sportwettkonzessionsvergabeverfahrens war, ist heute unter uns Juristen die Diskussion über die Zukunft des Lotterieveranstaltungsmonopols. Die Landeslotteriegesellschaften sehen sich zunehmend Angriffen illegaler Wettbewerber mit Sitz in Malta oder Gibraltar ausgesetzt. Insbesondere diese Wettbewerber, die unter dem Deckmantel der Lotterieveranstaltung bei Lichte betrachtet illegale und damit auch strafbewehrte, schwarze Lotteriewetten anbieten, versuchen zunehmend, die staatlichen Lotteriegesellschaften herauszufordern und ihnen “den Krieg zu erklären”.
Neben einer aggressiven, auf Expansion angelegten Werbestrategie vergeben die Anbieter solcher schwarzer Lotteriewetten in jüngster Zeit regelmäßig Gutachtenaufträge an Professoren- oder Anwaltskollegen, welche sodann – wie von Geisterhand gesteuert – zu dem Ergebnis kommen, dass das seit Jahrzehnten bestehende Lotterieveranstaltungsmonopol des Staates unionsrechts- bzw. verfassungswidrig sei. Dabei verkennen diese Kritiker drei wesentliche Punkte: Erstens die Sozialadäquanz des Lotteriespiels, zweitens die Notwendigkeit der Trennung des “Ob” und des “Wie” des Lotterieveranstaltungsmonopols und drittens das Gebot der “Gesamtschau der Rechtfertigungsansätze”.
Erstens: Die Veranstaltung von Lotterien blickt in Deutschland und Europa auf eine lange Historie zurück, die bis in das 16. Jahrhundert zurückreicht. Lotterien wurden seit jeher staatlich organisiert, um Einnahmen für bestimmte öffentliche Zwecke, etwa den Bau öffentlicher und sozialer Infrastruktur, zu erzielen. Neben der Verwendung der Einnahmen für Gemeinwohlzwecke war auch die Veranstaltung durch den Staat stets ein prägendes Prinzip der Lotterieveranstaltung, das entscheidend zur Akzeptanz des Lotteriespiels beitrug. Ich nehme an, dies, meine Damen und Herren, meint der geschätzte Kollege Ulrich Haltern, wenn er von den “soziokulturellen Präferenzen” des Lotteriespiels spricht.
Zweitens vermischen die “Angreifer” die in rechtlicher Hinsicht strikt zu trennenden Ebenen des “Ob” des Lotterieveranstaltungsmonopols auf der einen Seite und des “Wie” des Lotterieveranstaltungsmonopols auf der anderen Seite. Bislang ging die Rechtsprechung von dem “Ob” des Monopols stets als Selbstverständlichkeit aus. Das BVerfG ließ 2008 mit Blick auf die Beschränkungen der Lotterievermittlung das Lotterieveranstaltungsmonopol unbeanstandet, und zwar auch dessen Ausprägung in Form des Regionalprinzips. Diese zusätzliche Belastung sei von gewissen Lotterievermittlern hinzunehmen. Vergleichbares entschied das OVG Hamburg in seinem Urteil vom 22.06.2017, das VG Gelsenkirchen mit Urteil vom 17.5.2016 und das VG Düsseldorf in 2007 sowie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2014, der das Lottomonopol als “traditionelle Einschränkung” bezeichnet. Wie sogleich aufgezeigt werden soll, dreht sich der eigentliche Streit ausschließlich um die Frage, ob das “Wie” des Monopols mit den maßgeblichen unions- und verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist. Dies gilt namentlich für die Werbepraxis. Hierbei handelt es sich um ein klassisches Vertriebsthema, das strikt von der eigentlichen Veranstaltung, der Ziehung der Lottozahlen, zu trennen ist. D.h.: Wir arbeiten bei all der Rechtsprechung zur Werbepraxis auf einer Baustelle, die zwar viel Nebel produziert, die aber den Kern des Lottomonopols nicht betrifft oder zu erschüttern vermag. Mit anderen Worten: Die Werbung mag gestoppt werden, das Monopol aber hält.
Drittens verkennen die Kritiker des Lotterieveranstaltungsmonopols – an dieser Stelle sei nur Winfried Kluth und dessen jüngste Abhandlung im Auftrag von Lottoblock genannt –, dass die zur Rechtfertigung des Lotterieveranstaltungsmonopols vorgebrachten Argumente nicht isoliert betrachtet werden dürfen. Es ist vielmehr verfassungsrechtlich und europarechtlich eine Gesamtschau der maßgeblichen Rechtfertigungsansätze anzustellen. So hat der Europäische Gerichtshof bereits in der Rechtssache Schindler im Jahr 1994 unmissverständlich klargestellt, dass die zwingenden Gründe des Allgemeininteresses, – ich zitiere – “in ihrer Gesamtheit zu würdigen sind”.
I. Verfassungs- und unionsrechtliche Zulässigkeit des Lotterieveranstaltungsmonopols
Da die Regelung eines Staatsvorbehalts für die Veranstaltung von großen Zahlenlotterien – der Vertrieb dieser Lotterien ist bereits fest in privater Hand (Lottoannahmestellen als Eigenvertrieb der Landeslotteriegesellschaften und gewerbliche Spielvermittler als Fremdvertrieb) – einen Eingriff in die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und auch in die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit privater Lotterieveranstalter darstellt, bedarf es einer verfassungs- und unionsrechtlichen Rechtfertigung. Während das BVerfG nach der im Glücksspielrecht modifizierten Dreistufentheorie für objektive Zulassungsbeschränkungen(lediglich) wichtige Gemeinwohlbelange voraussetzt, prüft der EuGH im Bereich der Glücksspielregulierung, ob die Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit “aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses” gerechtfertigt ist. Beide Termini sind weitgehend deckungsgleich. Das Dach des Lotterieveranstaltungsmonopols steht danach auf mindestens vier Säulen: der Bekämpfung von Suchtgefahren, der Bekämpfung von Manipulationsgefahren, der Wirksamkeit staatlicher Aufsicht und “auch” der Finanzierung von Gemeinwohlbelangen. Bei genauer Analyse dieser vier Säulen ergibt sich der folgende Befund:
1. Rechtfertigung mit der Bekämpfung von Suchtgefahren
Säule 1: Bekämpfung von Suchtgefahren. An dieser Stelle möchte ich folgende These aufstellen: Die Suchtgefahren im Bereich der großen Zahlenlotterien sind nicht TROTZ des Lotterieveranstaltungsmonopols, sondern WEGEN der bisherigen Regulierung so gering. Auch Lotterien haben ein nicht unerhebliches Gefährdungspotential. Stellen Sie sich vor, Lotterien würden unbegrenzt zugelassen! Dies hätte zur Folge, dass in kurzen Intervallen täglich mehrere Lotterien ausgespielt würden. Bei einer solchen Frequenzerhöhung würden die Unterschiede zu weitaus suchtgefährlicheren Glücksspielen, wie etwa dem Automatenspiel, verschwimmen. Zudem würde die Konkurrenz um Marktanteile zu aggressiveren Marketingstrategien und damit zu höheren Spielanreizen führen. Um es kurz zu machen: Eine Liberalisierung der Lotterieveranstaltung würde ohne jeden Zweifel eine exponentielle Steigerung der Suchtgefahren des Lotteriespiels zur Folge haben. Den Stimmen, welche die mangelnde wissenschaftliche Evidenz einer solchen These bemängeln, sei mit den einfachen Worten Konrad Adenauers gesagt: “Keine Experimente!” – vor allem nicht in diesem sensiblen Bereich. Hierauf braucht sich der Staat nicht einlassen – weder verfassungsrechtlich noch europarechtlich.
2. Rechtfertigung mit der Bekämpfung von Manipulationsgefahren
Säule 2: Auch die Bekämpfung der mit der Veranstaltung von Lotterien verbundenen Begleitkriminalität, insbesondere der Ziehungsmanipulationen, bildet eine weitere Säule, um den Staatsvorbehalt in diesem Bereich zu stützen. So gehen nur beim Lotteriespiel die Manipulationsgefahren vom Veranstalter selbst, nicht aber – wie etwa bei der Sportwette – von dem Wettkunden oder einem an dem Glücksspiel unbeteiligten Dritten aus. Hält der Staat bei der Ziehung der Lottozahlen die “Hand drauf ”, ist eine Manipulation in der Regel ausgeschlossen. Die kritischen Stimmen, meine Damen und Herren, werden einwenden, dass es keine Belege für Manipulationsrisiken bei privaten Veranstaltern gebe. Auch insoweit sei erwidert, dass der Staat sich mit Blick auf die hohen Summen (im Eurojackpot bis zu 90 Mio. Euro!) und die Anzahl der Spielteilnehmer, welche bei einer Manipulation allesamt geschädigt würden, nicht auf Experimente einlassen muss. Einzelne Manipulationsfälle bei der privaten Lotterieveranstaltung in anderen EU-Mitgliedstaaten – etwa in Italien – belegen gerade, dass das Risiko keinesfalls “aus der Luft gegriffen”, sondern real ist.
3. Rechtfertigung mit der höheren Wirksamkeit staatlicher Aufsicht gegenüber staatlichen oder staatlich beherrschten Lotterieveranstaltern
Zur 3. Säule: Der EuGH und das BVerfG haben wiederholt das Motiv akzeptiert, durch ein Staatsmonopol die Aufsicht über den Glücksspielanbieter zu verbessern. Die geschätzten Kollegen Jarass und Grzeszick teilen zwar den Ansatz dieser Rechtsprechung, erkennen aber gerade bei der konkreten Ausgestaltung des Lotteriemonopols “keine Verbesserung der Kontrolle”. Der unbelastete Betrachter reibt sich hierbei fassungslos die Augen: Die Lottogesellschaften in Deutschland unterstehen der externen staatlichen Aufsicht und ein staatlicher Ziehungsbeamter (ein Beamter der Länder) begleitet die eigentliche Lottoziehung. Überdies werden die Lottounternehmen durch demokratisch legitimierte, staatlich unmittelbar oder mittelbar bestellte Organmitglieder geführt, gesteuert und überwacht. Auf der Grundlage des Demokratieprinzips entsendet der Staat die Mitglieder der Geschäftsführungen sowie Aufsichtsräte und kann über die Gesellschafterversammlungen Anweisungen erteilen. Nach dem HGrG überwachen ferner die Rechnungshöfe; das professionelle Beteiligungscontrolling der Finanzministerien arbeitet in preußischer Disziplin straff und effizient. Meine Damen und Herren, ein besseres Maß an Kontrolle und Kontrolldichte ist unmöglich. Jeder, der dies leugnet, verkennt die Realitäten oder liegt aufgrund sonst wie motivierter Präferenzen neben der Sache! Kurzum: Die Verbesserung der Kontrolle durch staatliche Beherrschung und Steuerung des Glücksspielunternehmens ist ein sehr wirkmächtiges Rechtfertigungsargument.
4. Rechtfertigung mit der Finanzierung von Gemeinwohlbelangen
Kommen wir zur Säule 4: Dem Finanzierungsargument. Zuweilen wird dieser Rechtfertigungsansatz – offensichtlich in Unkenntnis der Rechtsprechung des EuGH – vorschnell als unerheblich verworfen. Derartige Schlussfolgerungen verkennen, dass die Förderung von Gemeinwohlbelangen jedenfalls ergänzend und verstärkend bei der Rechtfertigung des Lotterieveranstaltungsmonopols herangezogen werden kann. Sie darf zumindest – so der EuGH – “erfreuliche Nebenfolge” der mitgliedstaatlichen Regulierungspolitik sein. Die mit der staatlichen Lotterieveranstaltung verbundene Gemeinwohlfinanzierung ist damit das “Salz in der Suppe”, wenn man die einzelnen Rechtfertigungsgründe in einen großen Topf wirft. Die Landeslotteriegesellschaften führen, das ist Ihnen allen bestens bekannt, jährlich erhebliche Beträge zweckgerichtet zur Förderung des Gemeinwohls ab. Knapp 40 Prozent der mit der Lotterieveranstaltung erzielten Einnahmen fließen wohltätigen Zwecken zu. Der Einwand, der Staatsvorbehalt in diesem Glücksspielsektor diene letztlich nur fiskalischen Interessen der Länder, geht auch deshalb fehl, da die Abgaben der Lotteriegesellschaften nicht einfach in den Landeshaushalten “verschwinden”, also gar nicht fiskalisch sind, sondern unmittelbar in die geförderten Projekte und zu den entsprechenden Institutionen fließen. Auch dies unterscheidet die Lotterien von allen anderen Glücksspielen, deren Veranstaltung ausschließlich der Gewinnmaximierung privater Anbieter dient.
II. Kann das Lotterieveranstaltungsmonopol mit einer kohärenten Regulierung des übrigen Glücksspielsektors kombiniert werden?
Nachdem damit die zentrale Fragestellung nach der verfassungs- und unionsrechtlichen Zulässigkeit des Lotterieveranstaltungsmonopols positiv beantwortet ist, ist in einem zweiten Schritt danach zu fragen, ob das Lotterieveranstaltungsmonopol mit einer kohärenten Regulierung des übrigen Glücksspielsektors kombiniert werden kann. An dieser Stelle geht es, wie zuvor bereits angedeutet, letztlich um das “Wie”, d.h. die Ausgestaltung des Lotterieveranstaltungsmonopols im Rahmen des bestehenden Regulierungssystems. Auch hier kann ich das Ergebnis vorwegnehmen: Das Lotterieveranstaltungsmonopol kann bei Beachtung und strikter Umsetzung der Vorgaben der Rechtsprechung mit einer kohärenten Regulierung des übrigen Glücksspielsektors kombiniert werden. Dabei dürfen die Anforderungen der “Kohärenzrechtsprechung” des EuGH an die zulässige Werbung für legale Glücksspielangebote nicht überspannt werden. Vielmehr ist “Mut zur positiven Werbung” zwingender Gegenstand des Kanalisierungsauftrages des Staates. Im Einzelnen:
1. Was bedeutet Kohärenz?
Bei der Kohärenzprüfung kontrolliert der EuGH, ob der betreffende Mitgliedstaat die von ihm vorgetragenen gesetzgeberischen Ziele tatsächlich zu erreichen versucht oder diese nur vorgeschoben hat (sog. “hypocrisy test”). Systematisch betrachtet ist die Kohärenzprüfung Bestandteil der Geeignetheitsprüfung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit: Selbst wenn eine Maßnahme als solche geeignet ist, kann sie dadurch ungeeignet werden, dass der Mitgliedsstaat andere, konfligierende oder konterkarierende Ziele verfolgt.
2. Anforderungen des Kohärenzgebots
Gemeinhin wird zwischen zwei Dimensionen des Kohärenzgebots differenziert: der vertikalen und der horizontalen Kohärenz.
a) Vertikale Kohärenz
Die vertikale Kohärenz setzt voraus, dass die mitgliedstaatliche Glücksspielregulierung und Vollzugspraxis innerhalb einer Produktsäule widerspruchsfrei und konsequent ist. Durch die Einbeziehung der Vollzugspraxis in die Kohärenzbetrachtung soll vermieden werden, dass ein Mitgliedstaat zwar einen abgestimmten und damit kohärenten Regelungsrahmen schafft, die vorgegebenen Ziele jedoch durch Untätigkeit der zuständigen Verwaltungsbehörden unterläuft. Maßgeblich ist dabei, ob strukturelle Vollzugsdefizite vorliegen. In der Praxis des EuGH spielt die Kohärenzprüfung insbesondere im Zusammenhang mit dem Regelungsziel der Suchtbekämpfung eine herausragende Rolle. Soweit Behörden eines Mitgliedstaates die Verbraucher dazu anreizen und ermuntern, an Glücksspielen teilzunehmen, könnten sie sich nicht, zumindest nicht ohne Weiteres, auf die Bekämpfung der Spielsucht berufen, so der Gerichtshof. Allerdings erkennt der EuGH auch an, dass eine Sucht- oder Kriminalitätsprävention nicht zwingend eine rein restriktive Glücksspielregulierung voraussetzt. eine sog. kontrollierten Expansion von Glücksspieltätigkeiten wird ausdrücklich für zulässig erachtet. So hat der Gerichtshof in der Rechtssache “Dickinger & Öhmer” entschieden, dass eine Politik der kontrollierten Expansion sowohl mit dem Ziel der Manipulations- und Kriminalitätsbekämpfung als auch dem Ziel der Suchtbekämpfung vereinbar ist. Die Verbraucher werden zu dem staatlichen Monopolanbieter gelenkt, bei dem davon ausgegangen werden kann, dass dessen Angebot frei von kriminellen Elementen und darauf ausgelegt ist, die Verbraucher besser vor übermäßigen Ausgaben und vor Spielsucht zu schützen. Abzugrenzen ist die demnach zulässige “Politik der kontrollierten Expansion” von einer unzulässigen “starken Expansion”. Die Politik der kontrollierten Expansion zeichnet sich dadurch aus, dass sie nur den vorhandenen Markt für den Monopolinhaber gewinnen will, während die expansionistische Geschäftspolitik auf Wachstum des gesamten Marktes, auf Erhöhung des Gesamtumsatzvolumens, abzielt. Es bedarf insofern des “richtigen Gleichgewichts” zwischen dem Erfordernis der kontrollierten Expansion einerseits, um das Glücksspiel für die Öffentlichkeit attraktiv zu machen, und andererseits der Notwendigkeit, die Spielsucht so weit wie möglich zu verringern.
b) Horizontale Koharenz
Neben der Prüfung der “vertikalen Kohärenz” innerhalb des betrachteten Glückspielsektors erstreckt sich die Prüfung der “horizontalen Kohärenz” auf die gesamte Bandbreite Glücksspielregulierung des jeweiligen Mitgliedstaates. Der EuGH fordert, dass eine auf ein staatliches Monopol setzende Regulierungspolitik nicht durch gegenläufige Regelungen in anderen Glücksspielbereichen konterkariert wird und dies zur Folge hat, dass das der Errichtung des Monopols zugrunde liegende Ziel nicht mehr wirksam verfolgt werden kann. Das Kohärenzgebot verlangt jedoch weder eine Uniformität der Regelungen noch eine Optimierung der Zielverwirklichung. Der Umstand, dass von verschiedenen Arten von Glücksspielen einige einem staatlichen Monopol und andere einem schlichten Konzessionsmodell unterliegen, führt gerade nicht dazu, dass die Regulierung als Ganzes inkohärent würde. Divergenzen in der Regelungsstruktur ändern als solche nichts an der Eignung des staatlichen Monopols, das Ausgangsziel der Spielsuchtbekämpfung zu erreichen.
c) Bedeutung der Werbung
Eine besondere Bedeutung im Zusammenhang mit der Bewertung der Frage, ob der Mitgliedsstaat sein gesetzgeberisches Ziel konsequent verfolgt, wird der Werbepraxis zugemessen. So führt der EuGH in der Rechtssache „Placanica“ im Zusammenhang mit dem verfolgten Ziel, die Glücksspieltätigkeit in kontrollierte Bahnen zu lenken, aus, dass ein “gewisser Werbeumfang” zulässig sei. Ich zitiere: “Eine Politik der kontrollierten Expansion im Glücksspielsektor kann dabei ohne weiteres mit dem Ziel in Einklang stehen, Spieler, die als solche verbotenen Tätigkeiten geheimer Spiele oder Wetten nachgehen, dazu zu veranlassen, zu erlaubten und geregelten Tätigkeiten überzugehen. Zur Erreichung dieses Ziels ist es erforderlich, dass die zugelassenen Betreiber eine verlässliche und zugleich attraktive Alternative zur verbotenen Tätigkeit bereitstellen, was als solches das Angebot einer breiten Palette von Spielen, einen gewissen Werbeumfang und den Einsatz neuer Vertriebstechniken mit sich bringen kann.” Also, meine Damen und Herren, “Mut zur positiven, schlagkräftigen Werbung”. Vor diesem Hintergrund ist die zuletzt geäußerte Kritik des VG München an der Werbepraxis der Landeslotteriegesellschaften zu relativieren. Die in der Entscheidung vom 25. Juli 2017 getroffene Feststellung, die Werbung gehe – wohlgemerkt in Einzelfällen (!) – über das hinaus, was nach den Vorgaben des EuGH erforderlich sei, ist schlicht falsch! Die Überlegungen zur Rechtfertigung des Lotterieveranstaltungsmonopols mit der Bekämpfung von Suchtgefahren zeigen vielmehr, dass wirksame Suchtbekämpfung nur im legalen Markt erfolgen kann. Der sog. Kanalisierungsauftrag verlangt eine Werbepraxis, die mindestens ebenso attraktiv und schlagkräftig ist, wie die der illegalen Anbieter. Die am Lotteriespiel interessierten Kunden sollen dazu veranlasst werden, zu erlaubten und geregelten niedrigfrequenten Spielen überzugehen. Nur auf diese Weise kann Glücksspielsucht im Lotteriespiel wirksam bekämpft werden. Die Angebote der schwarzen Lotteriewetten hingegen leisten gerade der Spielsucht Vorschub, indem sie die Frequenz der Ausspielungen erhöhen.
d) Konkrete Vorschläge zur Ausgestaltung des Regulierungssystems
Um das Regulierungsmodell des GlüStV unter Beachtung der zuvor skizzierten Vorgaben zukünftig kohärent(er) auszugestalten, erscheinen aus meiner Sicht folgende Novellierungsvorschläge erwägenswert:
- Es sollte darüber nachgedacht werden, das Online-Verbot in § 4 Abs. 4 GlüStV aufzuheben und den Glücksspielsektor der Online-Casinos positiv zu regulieren. Denkbar wäre die Einführung eines Konzessionsmodells, in dessen Rahmen glücksspielartspezifische Qualitätsanforderungen an den jeweiligen Online-Vertrieb statuiert werden. Dies würde die – bereits von Ulrich Haltern herausgearbeitete – Unterscheidung zwischen der Lotterieveranstaltung auf der einen und der Regulierung des übrigen, sodann vollständig liberalisierten Glücksspielsektors auf der anderen Seite verdeutlichen. Man hätte es insoweit mit einem Zwei-Sektoren-Modell zu tun: Lotto und der liberalisierte Rest.
- Um das Totalisatorprinzip als wesentliches Unterscheidungsmerkmal der Lotterien gegenüber anderen Glücksspielarten wirksam abzusichern, sollte über die Aufnahme eines ausdrücklichen Verbots von schwarzen Lotteriewetten nachgedacht werden. Das Totalisatorprinzip bietet bei Lotterien die Gewähr dafür, dass Gewinne tatsächlich ausgezahlt werden. So wird jeweils nur die Hälfte von dem ausgekehrt, was an Spieleinsätzen dem Totalisator zugeführt wurde. Demgegenüber sind die Auskehransprüche der Teilnehmer an schwarzen Lotteriewetten nur synthetisch abgesichert durch Rückversicherungsansprüche der jeweiligen Anbieter. Es handelt sich bei schwarzen Lotteriewetten um synthetisches Glücksspiel, welches darüber hinaus auf einer Täuschung der Verbraucher über die vermeintliche Teilnahme an einer genehmigten Lotterie basiert. Bereits der Verbraucherschutzgedanke rechtfertigt daher ein Verbot solcher Online-Wetten.
- Daneben sollte endlich eine zentrale Glücksspielaufsichtsbehörde der Länder als Anstalt öffentlichen Rechts geschaffen und zugleich das Glücksspielkollegium aufgelöst werden, um die illegalen Angebote, aber auch rechtswidrige Werbung, konsequent zu verfolgen und abzustellen. Dazu ist die Behörde personell und finanziell mit den entsprechenden Mitteln sowie kompetenziell mit den erforderlichen Befugnissen auszustatten. Weder das verfassungsrechtliche Demokratieprinzip noch das Bundesstaatsprinzip stehen dieser institutionalisierten Kooperation der Länder entgegen.
- Schließlich sind die Grenzen der zulässigen Werbung für das Angebot der staatlichen Lotterien staatsvertraglich zu regeln. Die bisherigen Regelungen zur Werbung in § 5 GlüSV sind eher zu allgemein gehalten und umfassen sämtliche Glücksspielarten. Es erscheint geboten, die Regelungen um differenzierte Anforderungen an die jeweilige Art des Glücksspiels und des Vertriebsweges bzw. des Werbemediums zu ergänzen.
Nach alledem komme ich zu folgendem Fazit:
Das Monopol auf die Veranstaltung von großen Zahlenlotterien ist verfassungsrechtlich und europarechtlich nicht in ernster Gefahr. Zur Rechtfertigung dienen die vier Säulen Bekämpfung von Suchtgefahren Bekämpfung von Manipulationsgefahren Verbesserung der Aufsicht und Finanzierung öffentlicher Gemeinwohlbelange in der Gesamtschau. Das Lotterieveranstaltungsmonopol kann auch mit einer kohärenten Regulierung des übrigen Glücksspielsektors kombiniert werden. Voraussetzung hierfür ist allein, dass die Werbepraxis der staatlichen Lotteriegesellschaften auf das begrenzt ist, was erforderlich ist, um die Nachfrage nach großen Zahlenlotterien in legale Bahnen zu lenken. Dies verlangt mit Blick auf die aggressive Werbepraxis der illegalen Anbieter in Einzelfällen auch eine über die bloße Information hinausgehende, ebenso attraktive Werbung. Meine Damen und Herren, es scheint die Zeit gekommen zu sein, “in die Offensive zu gehen” und die Besonderheiten und Vorzüge der staatlichen Lotterieveranstaltung auch als solche öffentlich zu bewerben. Dazu gehören: die Manipulationsfreiheit staatlicher Lotterieziehungen, die Garantie der Auszahlungsansprüche sowie nicht zuletzt die nicht trotz, sondern wegen der jahrzehntelangen Monopolisierung der Lotterieveranstaltung äußerst geringen Suchtgefahren des Lotteriespiels. Es ist an der Zeit, mutvoll und positiv in diesem Sinne für staatliches Lotteriespiel zu werben!
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf weitere Diskussionen zu diesem hochspannenden Themenfeld.
Mehr dazu auch auf: https://vertrauen.blog/nationale-gluecksspiel-regulierungsbehoerde/
Prof. Dr. Thomas Dünchheim ist Rechtsanwalt und Office Managing Partner des Düsseldorfer Büros von Hogan Lovells International LLP. Er leitet die Industriegruppe Public Sector von Hogan Lovells in Deutschland sowie die weltweite HL-Gaming Law Initiative und ist Mitglied der internationalen Praxisgruppe Government & Regulatory. Seit Februar 2016 hat er eine Honorarprofessur für Staats- und Verwaltungsrecht sowie öffentliches Wirtschaftsrecht an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Wiesbaden inne.