von Mathias Dahms
Es ist ein Paukenschlag: Gemäß jüngsten Steuerzahlen des Bundesfinanzministeriums hat die Sportwette das klassische Lottospiel 2018 gemessen an den Umsätzen abermals hinter sich gelassen – das zweite Jahr in Folge. Während die Lotterien 2018 rund 7,36 Mrd. Euro umsetzten, zählte die Sportwette Einsätze in Höhe von rund 7,7 Mrd. Euro. Es handelt sich um den vorläufigen Höhepunkt eines rasanten Marktwachstums: Seit 2013 (rund 3,8 Mrd. Euro Wetteinsätze) hat sich das Wettmarktvolumen in Deutschland mehr als verdoppelt. Die Sportwette ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Menschen haben zu allen Zeiten gewettet. Es liegt in ihrer Natur, macht Spaß und ist aufregend. Wer als Fan eine Sportwette abgibt, steigert individuell die Spannung eines Sportevents. Die Sportwette ist ein Unterhaltungsprodukt für Erwachsene. Das gilt insbesondere im Fußball, der mit weitem Abstand beliebtesten Sportart der Wettenden (rund 90 Prozent aller Wetten). Derzeit lassen sich 13 Bundesliga- und sieben Zweitligavereine von privaten Sportwettenanbietern sponsern. Auch der DFB und die DFL unterhalten Werbeverträge mit Mitgliedern des Deutschen Sportwettenverbands (DSWV), der die privaten Anbieter in Deutschland vertritt. Damit folgt Deutschland dem internationalen Trend: In europäischen Profiligen sind Wettanbieter zu wichtigen Sponsoren und tragenden Säulen der Sportförderung geworden. Auch amerikanische Profiligen wie NBA, NHL und MLB schließen seit einem wegweisenden Urteil des US Supreme Courts Sponsoringverträge mit Wettanbietern ab. Wer sich dies und die knapp 400 Mio. Euro in Deutschland abgeführte Sportwettsteuer allein im Jahr 2018 vergegenwärtigt, staunt umso mehr, dass die Bundesländer sich so schwertun, die Sportwette in Deutschland rechtssicher und angemessen zu regulieren. Obwohl die Ministerpräsidenten im Dezember 2011 erstmals beschlossen hatten, den Sportwettenmarkt für private Anbieter zu öffnen, ist bis heute aufgrund eklatanter Rechtsmängel keine einzige bundesweite Erlaubnis erteilt worden. Die Anbieter sind daher nur in der Lage, auf Grundlage der europäischen Dienstleistungsfreiheit zu agieren. Dass Verbraucherschutz, Schwarzmarktbekämpfung und Rechtssicherheit für die Anbieter problemlos Hand in Hand gehen können, haben andere EU-Mitgliedsstaaten wie Dänemark, aber auch Schleswig-Holstein längst vorgemacht. Als Nordrhein-Westfalen, Hessen und Schleswig-Holstein daher Ende 2017 voranschritten, um eine rechts- und marktkonforme Grundsatzreform des gescheiterten prohibitiven Regulierungsansatzes zu forcieren, fand dieses Anliegen die ausdrückliche Unterstützung des DSWV. Wir sind nach wie vor zuversichtlich, dass es der Gruppe der reformwilligen Länder gelingt, die Geschichte des Scheiterns der deutschen Glücksspielregulierung bis 2021 umzuschreiben.
Qualitatives Erlaubnisverfahren ist nur ein erster Schritt
Auf diesem Weg sind die Bundesländer nun ein kleines Stück vorangekommen: Bei der Ministerpräsidentenkonferenz soll ein „Dritter Glücksspieländerungsstaatsvertrag“ (3. GlüÄndStV) beschlossen werden, der zum 1. Januar 2020 in Kraft treten und bis zum 30. Juni 2021 gelten soll. Dieser sieht für die Sportwette vor, die quantitative Obergrenze der Zahl der Sportwettenkonzessionen aufzuheben. Das Land Hessen soll ein neues, qualitatives Erlaubnisverfahren für eine unbegrenzte Anzahl von Sportwettenanbietern aufsetzen und Lizenzen nach dem Willen der Ministerpräsidenten bereits Anfang 2020 erteilen. Der Deutsche Sportwettenverband begrüßt, dass die Bundesländer endlich von der offenkundig rechtswidrigen zahlenmäßigen Begrenzung der Sportwettenanbieter abkommen und die wesentliche formale Hürde für das Entstehen eines rechtssicheren deutschen Sportwettenmarktes beseitigen.
Dritter GlüÄndStV greift zu kurz
Zugleich besorgt es die künftigen Lizenznehmer sehr, dass die Länder es zunächst bei dieser „minimalinvasiven“ Änderung des Glücksspielstaatsvertrags belassen und die Marktöffnung bei der Sportwette nicht konsequent zu Ende führen. Der 3. GlüÄndStV tastet nämlich die äußerst restriktiven materiell-rechtlichen Regelungen nicht an, die vor einem Jahrzehnt für ein probeweises Oligopol-, nicht aber für ein Erlaubnissystem im digitalen Zeitalter konzipiert wurden. Der Änderungsstaatsvertrag beruht im Kern auf Regelungen aus einer Zeit, als es kein iPhone, kein Facebook, kein WhatsApp oder Instagram gab. Mit der Digitalisierung haben sich unsere Verbraucherbedürfnisse und unser Spielverhalten jedoch grundlegend verändert. CandyCrush, Fortnite und E-Sports werden inzwischen von vielen Menschen genutzt. Auch bei der Sportwette sind wir es heute gewohnt, via Smartphone, Tablet oder sogar per Sprachsteuerung live auf Sportereignisse zu tippen. Der Sportwetter versteht sich als mündiger Verbraucher eines legalen und legitimen Unterhaltungsprodukts. Wie in jedem anderen Konsumsegment erwartet der Kunde dabei ein bedarfsgerechtes Angebot. Mit den teils anachronistischen und technophoben Regelungen des Staatsvertrags wird es kaum gelingen, einen attraktiven, den Erwartungen der Verbraucher entsprechenden Sportwettenmarkt zu etablieren. Wenn das legale Angebot nicht überzeugt und die Verbraucher in Scharen zu nichtlizenzierten Angeboten aus dem karibischen und asiatischen Raum überlaufen, hätte der 3. GlüÄndStV der Schwarzmarktbekämpfung einen Bärendienst erwiesen. Das Kanalisierungsziel des Staatsvertrags zu erfüllen, ist Conditio sine qua non, ohne die alle sinnvollen Maßnahmen des Spieler- und Jugendschutzes, der Sucht- und Kriminalitätsprävention wertlos sind. Das gilt insbesondere im heutigen Internet-Zeitalter, in dem das nächste unregulierte Angebot stets nur einen Klick oder eine Wischgeste entfernt liegt. Wir fordern die Bundesländer daher auf, die Lizenzbestimmungen für Sportwettenanbieter marktverträglich zu gestalten. Eine restriktive Interimsregulierung bis Mitte 2021, die im Vorfeld einer erweiterten Marktöffnung eine nachhaltige Schädigung der lizenzierten Angebote und ein Erstarken des Schwarzmarkts nach sich zöge, wäre absurd.
Der Glücksspielstaatsvertrag muss 2021 grundlegend reformiert werden
Der 3. GlüÄndStV war der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Länder unter dem Zeitdruck der auslaufenden Experimentierklausel einigen konnten. Da er die strukturellen Defizite des Glücksspielstaatsvertrags nicht beseitigt, ist er nicht mehr als ein temporärer Stützpfeiler für ein baufälliges Haus. Die reformwilligen Länder müssen jedoch das Fundament neu legen und die Verhandlungen über einen neuen Staatsvertrag 2021 weiter vorantreiben. Noch immer unterliegen einzelne Länder dem Irrglauben, den digitalen Glücksspielmarkt gegen die Verbraucherwünsche restriktiv bzw. prohibitiv möglichst zum Schutz ihrer eigenen (Lotto-)Angebote regulieren zu können.
Der DSWV erachtet fünf Reformaspekte als unabdingbar, um die Sportwettenregulierung zum Erfolg zu führen:
1. Eine zeitgemäße Regulierung für die digitale Lebenswirklichkeit der Verbraucher orientiert sich an der Kundennachfrage, umfasst daher alle populären Glücksspielprodukte und lässt Multiproduktangebote zu. Es braucht nicht weniger als einen Paradigmenwechsel: Kanalisierung gelingt nicht durch Verbote, Beschränkungen oder Trennungsgebote, sondern durch attraktive und umfangreiche legale Angebote mit hohem Verbraucherschutzstandard. Hiervon ausdrücklich ausgenommen sind Zweitlotterien.
2. Sportwettenanbieter brauchen unbefristete Planungssicherheit für den deutschen Markt, die ihnen der 3. GlüÄndStV abermals verwehrt. Das europarechtswidrige staatliche Sportwettenmonopol ist damit nach wie vor nicht abgeschafft, sondern lediglich bis 2021 suspendiert. Die mit 18 Monaten viel zu kurz bemessene Laufzeit der für den 1. Januar 2020 in Aussicht gestellten Erlaubnisse steht in keinem vertretbaren Verhältnis zu Aufwand und Kosten eines Erlaubnisverfahrens sowohl für die Verwaltung als auch für die Lizenznehmer. Insbesondere für Neueinsteiger in den Markt ist die Zeit viel zu kurz, um ihre Marke nachhaltig zu etablieren.
3. Wer die staatsvertraglichen Ziele erreichen will, muss ein gegenüber dem Schwarzmarkt wettbewerbsfähiges, legales Sportwettenprodukt zulassen. Hierzu sind die materiell-rechtlichen Regelungen mit ihren zahlreichen Produktrestriktionen zwingend reformbedürftig:
- Anbieter müssen in der Gestaltung ihres Produktangebots weitgehend frei sein (Ausnahme: Jugend-/Amateurspiele, sittenwidrige Wetten);
- die besonders populäre Live-Wette (bis zu 70 Prozent des Wettaufkommens) muss zulässig sein;
- Spiellimits sollten nicht pauschal, sondern individuell durch die Verbraucher selbst festgesetzt werden. Nur so ist hier Akzeptanz zu erreichen.
4. Künftig lizenzierte Anbieter ergreifen umfangreiche Spielerschutzmaßnahmen und schließen sich an das zentrale Spielersperrsystem an. Zugleich sollten die Behörden sie in einer öffentlichen „White List“ führen und ihnen umfangreiche Werbemöglichkeiten zugestehen. Dies dient der Kanalisierung der Verbraucher zu legalen Angeboten und hilft, den Schwarzmarkt auszutrocknen. Profitieren würden nicht zuletzt die staatlichen Lotterien, die entgegen des Wachstumstrends in allen anderen westlichen Industrienationen durch geringere Visibilität in Deutschland seit 2006 Umsatzeinbußen von bis zu 20 Prozent zu verkraften haben.
5. Das Instrument des Staatsvertrags mit Laufzeiten von bis zu neun Jahren hat sich für die Regulierung eines globalen Internetmarkts als ungeeignet erwiesen. Für eine dynamische Regulierung mit höherer Taktung braucht es eine zentrale, mit ausreichend Personal und Kompetenz ausgestattete Glücksspielaufsichtsbehörde der Länder mit weitreichender Verordnungsermächtigung. Schon im kleinen Dänemark zählt eine solche Behörde eine dreistellige Mitarbeiterzahl. Sie passt die Regulierung im steten Dialog mit den Marktakteuren evidenzbasiert, technologie- und innovationsoffen kurzfristig an neue Entwicklungen an.
Mathias Dahms ist Präsident des Deutschen Sportwettenverbands (DSWV), dem Zusammenschluss führender deutscher und europäischer Sportwetten-Anbieter.