(Dowling, N. A., Aarsman, S. R. & Merkouris, S. S., 2021)
Anders als die Störung durch Glücksspielen, die im DSM-5 anhand von abgegrenzten Diagnosekriterien beschrieben ist, wird das Konzept des problematischen Glücksspielens (PG) eher als Kontinuum verstanden, das sich von den beiden Polen „Glücksspielverhalten ohne Risiko“ bis hin zu extremem Risiko (Glücksspielverhalten führt zu ernsthaften Problemen) erstreckt. Sehr oft wird PG genutzt, um jegliche Art negativer Konsequenzen für Glücksspielteilnehmende, Angehörige und die Gesellschaft zu beschreiben.
Die Autorinnen dieses Artikels interessierten sich dafür, ob es Faktoren gibt, die das Ausmaß von PG beeinflussen. Sie unterscheiden die Faktoren dabei in drei Gruppen: 1) Risikofaktoren werden als dem PG antezedente Bedingungen verstanden, die mit der Zunahme der Wahrscheinlichkeit des Beginns, der Stärke oder der Dauer von PG zusammenhängen. Im Gegensatz dazu sind 2) protektive Faktoren solche antezedenten Bedingungen, die mit der Verringerung der Wahrscheinlichkeit des Beginns von PG zusammenhängen, unabhängig von der Exposition durch Risikofaktoren. Eine dritte Gruppe sind
3) kompensatorische Faktoren, d. h. Faktoren, die bei gleichzeitigem Vorliegen eines erhöhten Risikos einen protektiven Einfluss zeigen und den Einfluss des Risikos puffern.
In der bekannten Literatur gibt es ein weites Spektrum psychischer (z. B. Depression, Angststörungen, riskanter Alkoholkonsum, Rauchen, schlechte allgemeine Gesundheit), kognitiver, sozialer sowie verhaltens- und persönlichkeitsbezogener Risikofaktoren, die mit der Entwicklung von PG (kausal) zusammenhängen. Weiterhin zeigen glücksspielbezogene Variablen wie Einstellungen, Motive (Geld „verdienen“ oder als Mechanismus bei Belastungen) und fehlerhafte Kognitionen zum Glücksspielen Zusammenhänge mit PG.
Die Autorinnen interessierten sich in dieser Studie dafür, welche protektiven Faktoren es für die Entstehung von PG gibt, vor allem durch positive psychische Gesundheit, und ob diese wie bei anderen psychischen Störungen erklären können, warum viele Personen, die am Glücksspiel teilnehmen, nie PG entwickeln. Positive psychische Gesundheit wird von der WHO als ein Zustand von Wellbeing (Wohlbefinden) charakterisiert, in dem jedes Individuum sein oder ihr eigenes Potenzial versteht und verwirklicht, mit Alltagsbelastungssituationen umgehen kann, produktiv arbeiten kann und einen Bei- trag für die Gesellschaft leisten kann.
Die Studie wurde an einer Gelegenheitsstichprobe von 500 australischen Studierenden durchgeführt (2019 männlich, 280 weiblich), von denen 75 Prozent im letzten Jahr im Durchschnitt 67-mal an Glücksspielen teilgenommen hatten. Häufigste Formen des Glücksspiels waren Privates Spielen (40 Prozent), Bingo (39 Prozent), Spielen im Casino (32 Prozent) und Automaten (32 Prozent). Etwa zehn Prozent hatten im letzten Jahr Geldprobleme. Risikofaktoren und protektive sowie kompensatorische Wellbeing-Faktoren wurden alle mittels Fragebögen mit guten psychometrischen Eigenschaften erfragt. Als Ergebnis zeigte sich, dass viele der vorher in der Literatur beschriebenen Risikofaktoren auch bei dieser Studie nachgewiesen wer- den konnten, vor allem riskanter Alkoholkonsum sowie verschiedene Glücksspielmotive (z. B. Geld „verdienen“, positive Gefühle beim Spielen), fehlerhafte Kognitionen (Kontrollillusion und Ergebnisvorhersage beim Glücksspielen, Unfähigkeit, das Glücksspielen zu beenden) und Belohnung durch Gewinne. Einige der häufig beschriebenen Risikofaktoren konnten allerdings nicht nachgewiesen werden (Depression, Angststörungen, Rauchen, schlechte allgemeine Gesundheit). Keiner der Faktoren positiver psychischer Gesundheit konnte in dieser Studie als direkter protektiver Faktor für PG bestätigt werden. Überraschend war, dass Spiritualität als eine der Subskalen von Wellbeing in dieser Stichprobe ein Risikofaktor für PG war, da es mehre Studien gibt, die Spiritualität z. B. in Bezug auf problematischen Alkoholkonsum als protektiven Faktor nachgewiesen haben. Die Erklärung der Auto- rinnen ist, dass dieser Effekt über die kognitiven Kontrollillusionen beim Glücksspielen vermittelt wird, da sich eventuell der Glaube an eine höhere Macht und ein positives Schicksal darauf überträgt, den positiven Ausgang eines Glücksspiels vorherzusagen.
Bezüglich kompensatorischer Faktoren zeigte sich, dass positive psychische Gesundheitsfaktoren 1) den Einfluss der Risikofaktoren, in hochriskanten Situationen (weiter-)zuspielen und 2) Gründe für die Glücksspielteilnahme (z. B. Geld, positive Gefühle) interaktional beeinflussen und abschwächen können. Bei den meisten Risikofaktoren zeigte sich allerdings kein interaktionaler Einfluss.
Insgesamt konnte die Studie zeigen, dass protektive Faktoren keinen direkten Einfluss auf die Entwicklung von PG haben, aber den negativen Einfluss einiger Risikofaktoren abschwächen und dass vor allem modifizierbare glücksspielbezogene Risikofaktoren nachgewiesen wurden. Diese könnten ein Ziel für Prävention und Intervention sein, da Kognitionen und Einstellungen leichter veränderbar sind. Die Studie hat mehrere Limitationen, da sie als Querschnittsstudie konzipiert wurde und somit keine kausalen Schlüsse zulässt. Zudem sind die Ergebnisse nicht generalisierbar, da es sich um eine Gelegenheitsstichprobe von Studierenden handelt. Die hier untersuchten Faktoren sind vor allem personenbezogen, soziale (z. B. Familie) und gesellschaftliche Faktoren wurden nicht berücksichtigt.
Addictive Behaviors, 112 (2021) 106604, https://doi.org/10.1016/j. addbeh.2020.106604
Addictive Behaviours, published online, https://doi.org/10.1016/j. addbeh.2020.106472.