Die Entwicklung des Sportwettmarktes in Deutschland
(Benjamin Speckenbach, Kevin Rieger) Die Bedeutung der Sportwette für alle gesellschaftlichen Schichten in Deutschland wird besonders bei Großereignissen sichtbar. So war zuletzt bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 das Interesse an Tippspielen und Tipprunden allgegenwärtig. In fast jedem Büro und Verein – vom Kleingärtnerverein bis zum Sportclub – wetteten Freunde, Bekannte und Kollegen gemeinsam auf den Ausgang der Spiele in Russland. Die ungebrochen große Nachfrage und breite gesellschaftliche Verankerung hat dabei Tradition. So gehört die Sportwette spätestens seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs fest zu Deutschland, sowohl im privaten Umfeld als auch im Angebot professioneller Anbieter. Bereits 1948 wurde das „Staatliche Bayrische Fußballtoto“ gegründet und in den 1950er-Jahren wurden Totoblöcke in allen Bundesländern der Bundesrepublik gebildet. Aufgrund des großen Interesses wurde zeitlich parallel 1953 die Toto-Sportwette auch in der DDR eingeführt, Träger war hier der „VEB Sporttoto“. Die noch rein staatlich organisierte Sportwette bestand zunächst aus Sammelwetten auf den Ausgang von Fußballspielen, etwa als „Elferwette“. Aufgrund der steigenden Nachfrage haben sich das Spektrum der angebotenen Wettarten und der Wettmarkt kontinuierlich vergrößert – die Gründung von ODDSET im Jahre 1999 und das Aufkommen privater Sportwettanbieter waren hierfür die zentralen Meilensteine.
Laut Jahresreport der Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder gibt es aktuell in Deutschland ca. 5.000 private Wettvermittlungsstellen und ca. 21.000 Lotto-Annahmestellen. Bei Letztgenannten können größtenteils auch ODDSET-Wettscheine abgeben werden (außer in Berlin, Brandenburg, Bremen und Hamburg). Sportwetten werden in Deutschland flächendeckend und von allen sozialen Schichten in steigender Anzahl gespielt. Verstärkt nutzen die Verbraucher hierfür auch digitale Endgeräte zur Tippabgabe. Als der erste Versuch zur regulierten Öffnung des Sportwettmarktes 2012 unternommen wurde, besaßen ca. 24 Millionen Deutsche ein Smartphone – das staatliche Angebot hingegen beschränkte sich auf das Geschäft in Lottoannahmestellen. Seitdem hat sich nicht nur das Spielverhalten, sondern es haben sich auch die technischen Möglichkeiten zum Spielerschutz und vor allem die Nutzung des Smartphones grundlegend verändert.
Der Digitalverband Bitkom hat im Vorfeld des Mobile World Congress in Barcelona im Februar 2019 errechnen lassen, dass mittlerweile ca. 57 Millionen Smartphones in Deutschland im Umlauf sind. Das entspricht der gesamten Bevölkerung im Alter von 16 bis 70 Jahren. Und die volljährigen Verbraucher nutzen ihre Smartphones auch zunehmend zur Abgabe von Sportwetten und für Online-Glücksspiele. Laut Bericht der britischen Glücksspielkommission von Februar 2019 sind dies beispielsweise 55 Prozent der Spieler im Vereinigten Königreich. Für Deutschland wurden noch keine genauen Zahlen erhoben, hier ist allerdings von ähnlichen Größenordnungen auszugehen.
Anhand der Jahresreports der Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder ist hingegen bekannt, dass bei der Sportwette fast jeder zweite Euro (ca. 40 Prozent) online umgesetzt wird – eine enorme Summe, wenn man bedenkt, dass 2017 die Deutschen ca. 7,516 Milliarden Euro auf Sportwetten gesetzt haben (abgeleitet aus dem Sportwettsteueraufkommen). Insgesamt wachsen die Bruttospielerträge (BSE) – also die Differenz aus den Einsätzen und Gewinnen der Spieler – von Jahr zu Jahr. 2017 lagen die BSE der privaten Sportwette bei ca. 1,027 Milliarden Euro. Die staatliche Sportwette erzielte im selben Jahr einen Bruttospielertrag von 71 Millionen Euro. Das Gemeinwohl profitiert durch Steuern und Abgaben von dieser Entwicklung. Laut Bundesfinanzministerium haben die privaten und der staatliche Anbieter 2017 Sportwettsteuer in Höhe von ca. 384 Millionen Euro abgeführt. Den größten Anteil haben hierbei Nordrhein-Westfalen mit ca. 89 Millionen Euro und Bayern mit ca. 58 Millionen Euro erhalten.
Benjamin Speckenbach ist seit 2012 verantwortlicher Buchmacher der Tipico. Er leitet ein Team von 150 Buchmachern. Er ist Dipl. Kaufmann mit einem Studium der Betriebswirtschaftslehre in Mannheim und Lyon mit den Schwerpunkten Finance, Marketing und Romanistik.
Kevin Rieger ist Associate der Bernstein Group. Die Bernstein Group ist eine Unternehmensberatung für Regulierungs- und Kommunikationsfragen. Sie begleitet neben anderen Politikfeldern seit 2004 die europäische und die deutsche Glücksspielregulierung und berät unter anderem Glücksspielanbieter aus verschiedenen Sektoren in Regulierungsfragen.
Dieser Beitrag erschien in voller Länge in der Fachzeitschrift „Beiträge zum Glücksspielwesen“ Ausgabe 4/2019. Diese kann hier im Jahresabo oder einzeln bestellt werden.